Die norddeutsche Chemieindustrie kommt nicht ohne deutliche Blessuren durch die aktuelle Krise - auch die Zahl der Jobs ist gesunken.

Hamburg. Die Chemie-Firmen in Hamburg, Schleswig-Holstein und Niedersachsen machten im ersten Halbjahr 2009 mit 8,5 Milliarden Euro 27 Prozent weniger Umsatz. Die Zahl der Mitarbeiter ging um knapp zwei Prozent auf 67.000 zurück.

"Zwar hofft ein Teil unserer Mitgliedsunternehmen nach den jüngsten positiven konjunkturellen Signalen, jetzt die schwerste wirtschaftliche Krise seit Jahrzehnten überwunden zu haben. Allerdings bleibt eine Vielzahl von Unwägbarkeiten wie die wieder stark steigenden Rohstoffpreise, der anziehende Dollar-Kurs, die Unklarheiten bei der Ausgestaltung der EU-Emissionshandelsrichtlinie und die Versorgung mit Krediten", sagte Jochen Wilkens, Hauptgeschäftsführer des Arbeitgeberverbandes ChemieNord, im Gespräch mit dem Abendblatt.

Entwarnung für die Chemieindustrie im Norden könne derzeit noch nicht gegeben werden. "Auch im kommenden Jahr wird das Kostenmanagement der entscheidende Faktor sein", so Wilkens. Bundesweit rechnet die Branche mit einem weiteren Beschäftigungsabbau. Die Zahl der derzeit rund 432 900 Stellen in Deutschland wird nach einer Umfrage des Verbandes Führungskräfte Chemie um 6200 oder 1,4 Prozent sinken.

"Um diese Flexibilität beneiden uns Kollegen aus anderen Ländern"

Dennoch überstehen die Chemieunternehmen hierzulande die Krise offenbar besser als die Konkurrenz im Ausland. "Die Arbeitgeber und die Gewerkschaft haben die Tarifverträge flexibler als zuvor gestaltet. So haben wir zum Beispiel als erste Branche mit der Gewerkschaft die Einführung eines Entgeltkorridors eingeführt", so Wilkens. Folge ist, dass in Krisenzeiten die Gehälter für eine begrenzte Zeit um bis zu zehn Prozent gesenkt werden können.

Zudem profitiert die Branche von vereinbarten Arbeitszeitkonten. "Wenn jetzt keine Aufträge bei den Firmen eingehen, können die Mitarbeiter als Erstes ihre zuvor geleistete Mehrarbeit abbummeln", so Wilkens. Insgesamt gebe es in der Branche inzwischen 14 tarifliche Öffnungsklauseln. "Um diese Flexibilität beneiden uns Kollegen aus anderen Ländern."

Die Folge sei, dass weltweit bereits Fabriken geschlossen werden mussten, hierzulande aber nicht. "Die Flexibilisierung hat sich bewährt", sagt auch Jan Eulen, Hamburger Vorsitzender der Gewerkschaft IG BCE. Sorgen macht sich Eulen dennoch - vor allem um die Zulieferer der Autoindustrie. Auch um Firmen, die - wie das Norderstedter Unternehmen Johnson & Johnson - Gewinne schreiben und trotzdem Arbeitsplätze in Billiglohnländer verlagern. "Ein solches Verhalten kann ich nicht verstehen."

Wilkens gibt sich zuversichtlich, dass die norddeutschen Betriebe nach der Krise wieder gut dastehen. Dennoch sieht er Handlungsbedarf bei der Regierung. "Die meisten Parteien haben sich vor der Bundestagswahl dazu bekannt, dass Unternehmen eine zehnprozentige Steuergutschrift für Forschungs- und Entwicklungsaufwendungen erhalten, wie dies schon in vielen OECD-Ländern üblich ist. Doch jetzt hört man kaum noch etwas darüber", so Wilkens.

Doch ohne Steuergutschriften drohten Deutschland gravierende Standortnachteile bei der Ansiedlung von Unternehmen und beim Ausbau von Forschungs- und Entwicklungsabteilungen.

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