Es ist eine Fabrik mit 1000 Stellen geplant und ein neues Golf Cabrio befindet sich in Vorbereitung. Landesschef Wulff schaltete sich ein.

Hamburg. Es war kurz vor zwölf. Die Osnabrücker hatten sich bereits darauf eingestellt, dass von dem Gelände ihres Autobauers, einer Fabrik groß wie eine kleine Stadt, mit Werkshallen bis zum Horizont, mit eigenen Straßen, Bushaltestellen und Bahnanschluss bald nichts mehr bleiben würde als eine Industriebrache. Die Aufträge blieben aus, kein Käufer war in Sicht, die Hoffnung löste sich auf wie ein Regentropfen auf dem Lack eines Neuwagens. Würde es sich in Osnabrück nie mehr lohnen, Fahrzeuge für den hart umkämpften Weltmarkt zu bauen? Würde der Standort zum Industriedenkmal verkommen und damit Zeugnis ablegen für den Strukturwandel des Hochlohnstandorts Deutschland?

Gestern dann die überraschende Wende. Mitten in der schwersten Krise der Branche entscheidet der Aufsichtsrat von Volkswagen in seinem Wolfsburger Verwaltungsturm, Osnabrück in die VW-Welt aufzunehmen. Ab dem Jahr 2011 sollen an der Geburtsstätte des Kultautos Karmann Ghia wieder Fahrzeuge produziert werden. Nach Abendblatt-Informationen das für Brancheninsider längst überfällige neue Golf Cabrio und ein Roadster.

"Die Mitarbeiter und ehemaligen Mitarbeiter der Firma Karmann verfügen über langjährige Erfahrung in der Produktion von Kleinserienmodellen, auf die entsprechend des Bedarfs zurückgegriffen werden soll", heißt es bei VW. Das Bekenntnis fußt auf einer jahrzehntelangen Partnerschaft. Schließlich hat Karmann für Volkswagen bereits das Käfer Cabrio oder den Scirocco gefertigt.

Früher waren solche Nischenmodelle für Hersteller von Massenfahrzeugen noch nicht wirtschaftlich zu produzieren. Das ist heute anders. Dazu kam die Autoflaute. Vor zwei Jahren hatte Karmann noch 7000 Beschäftigte, 2008 blieben 5900 Mitarbeiter, inzwischen waren selbst die Löhne der letzten 900 Beschäftigten nicht mehr sicher.

Nun will VW bis 2014 bei Karmann wieder 1000 Arbeitsplätze schaffen. Zwar müssen sich die Karmann-Beschäftigten, egal ob noch im Betrieb oder in einer Transfergesellschaft, neu bei VW bewerben. Aber Osnabrück "bleibt Autostadt", freute sich gestern der Betriebsratsvorsitzende von Karmann, Wolfram Smolinski, als die Nachricht aus Wolfsburg eintraf.

Es sind 1000 neue Jobs für 1000 potenzielle Wähler, die Niedersachsens Ministerpräsident Christian Wulff als wichtiger Drahtzieher des VW-Engagements im Blick hatte. "Ohne Christian Wulff hätten die Gesellschafter von Karmann den Weg des Kompromisses wohl nicht gefunden", lobt Hartmut Riemann von der IG Metall Osnabrück den Ministerpräsidenten, der durch die 20-prozentige Beteiligung des Landes Niedersachsen auch Mitglied im Aufsichtsrat von VW ist. Wulff ist Osnabrücker und hat seinen Wahlkreis in der 150 000-Einwohner-Stadt.

Der CDU-Politiker hatte in Gesprächen mit den Eigentümern des Familienunternehmens Karmann, die Clans Karmann, Boll und Battenfeld, den Preis für das Grundstück, die Maschinen und Anlagen inklusive einer Lackiererei gedrückt und damit das Geschäft erst möglich gemacht. Zunächst sollen Forderungen der Eigentümer von rund 60 Millionen Euro einem Angebot über 30 Millionen von VW gegenüber gestanden haben. Über den nun gezahlten Preis wurde allerdings nichts bekannt.

Der Einstieg bei Karmann sei im Interesse des gesamten VW-Konzerns, sagte Wulff gestern. VW bekomme mit Karmann eine der modernsten Lackieranlagen Europas und hoch qualifizierte Menschen, die viele Patente in den vergangenen Jahren erlangt haben. "Es ist gut für Volkswagen, es ist gut für die Region Osnabrück".

Dass der 50-Jährige die Rettung Karmanns angesichts von Überkapazitäten im weltweiten Automarkt durchsetzen konnte, erklären Insider mit dem Gewicht, dass Wulff durch die Abwehr des Porsche-Angriffs bei VW gewonnen hat: Die Landesregierung hat durch ihre Rolle im Übernahmekampf entscheidend dazu beigetragen, dass VW weiter aus Wolfsburg und nicht von dem Sportwagenbauer aus Stuttgart gelenkt wird. Darüber dürften Aufsichtsratschef Ferdinand Piëch, aber auch Betriebsratschef Bernd Osterloh, der ebenfalls im Aufsichtsrat sitzt und über Karmann mitentscheiden konnte, nicht gerade unglücklich sein. Denn ihre Macht in Wolfsburg blieb unangetastet. Auch die VW-Aufsichtsräte Jürgen Großmann, der die Georgsmarienhütte bei Osnabrück vor dem Aus rettete, Michael Frenzel (TUI, Hannover) und Hans Michael Gaul stehen Wulff nahe.

VW wird die Entscheidung zu Karmann auf der nächsten Hauptversammlung aber auch vor den Aktionären verteidigen müssen. Sie werden den Schritt zwar nicht mehr rückgängig machen. Aber sie werden fernab des politischen Kalküls nach wirtschaftlichen Argumenten für den Kauf fragen.