Trotz Wachstums bleibt die Entwicklung in vielen Teilen Osteuropas dramatisch. Brüssel mahnt zügigen Abbau von Schulden an.

Hamburg/Brüssel. Die Wirtschaft erholt sich, doch die Folgen der "tiefsten, längsten und umfassendsten Rezession in der Europäischen Union" werden die Verbraucher im nächsten Jahr erst noch zu spüren bekommen. Das ist das Fazit der EU-Herbstprognose, die gestern vorgestellt wurde. Die Rezession ist vorbei, heißt es darin. "Aber es gibt nur eine schrittweise Besserung", sagte EU-Währungskommissar Joaquín Almunia. Für 2010 wird in der EU wieder ein Wachstum von 0,7 Prozent erwartet, nachdem die Wirtschaft in diesem Jahr um vier Prozent schrumpfen dürfte. "Die EU-Wirtschaft kommt aus der Rezession, was in hohem Maße den ehrgeizigen Maßnahmen der Regierungen, Zentralbanken und der EU zu verdanken ist", sagte Almunia. Viele Milliarden Euro wurden zur Stabilisierung von Banken und Unternehmen von den Regierungen aufgebracht.

Deutschland wird im nächsten Jahr um 1,2 Prozent wachsen und 2011 um 1,7 Prozent. Nur schleppend erholt sich dagegen der Arbeitsmarkt. Die EU-Kommission rechnet noch mit einem drastischen Anstieg der Arbeitslosigkeit bis in das Jahr 2011 hinein. So wird im nächsten Jahr für Deutschland eine Arbeitslosenquote von 9,2 Prozent erwartet, die 2011 noch auf 9,3 Prozent steigen soll. In der EU werde sie sich auf 10,3 Prozent erhöhen. Die ostdeutsche Wirtschaft wird wiederum frühestens in zehn Jahren das Niveau der schwächeren Westländer wie Schleswig-Holstein und Niedersachsen erreichen, prognostizierte gestern das Institut der deutschen Wirtschaft (IW).

"Die höhere Arbeitslosigkeit ist nicht überraschend, weil der Arbeitsmarkt immer mit Verzögerung auf eine konjunkturelle Erholung reagiert", sagte Michael Bräuninger vom Hamburgischen WeltWirtschaftsInstitut (HWWI). Das HWWI erwartet 2010 sogar eine Arbeitslosenquote von 9,6 Prozent. "Die Insolvenzen steigen erst zum Ende einer Krise. Nach dem Ende der Kurzarbeit werden viele Firmen auch um Entlassungen nicht herumkommen." 2011 werde die Arbeitslosigkeit aber nicht weiter zulegen, so Bräuninger: "Der große Anstieg wird 2010 kommen."

Die Krise trifft vor allem auch Osteuropa schwer, denn die volkswirtschaftliche Aufholjagd war in vielen Ländern stark von Krediten getrieben. Mit der Finanzkrise versiegten die Kredite. "Osteuropa ist kein einheitliches Gebilde mehr und wir werden in den nächsten Jahren eine sehr differenzierte Entwicklung erleben", sagte Klaus Jürgen Gern vom Institut für Weltwirtschaft in Kiel. Als besonders schwierig schätzt er die Lage in Litauen, Lettland, Estland und Bulgarien ein. Nach der Prognose der EU-Kommission wird die Wirtschaft in diesen Ländern auch 2010 schrumpfen. Die Folge sind Arbeitslosenquoten von bis zu 20 Prozent. Wesentlich besser entwickeln sich nach Gerns Einschätzung Länder wie Polen, die Slowakei und Tschechien. "Für Deutschland hat der Export nach Osteuropa (ohne Russland) eine höheres Gewicht als die Ausfuhren in die USA", sagte Gern. Die Erholung dieser Länder werde davon abhängen, wie schnell Westeuropa die Krise hinter sich lässt.

Almunia forderte die 27 EU-Staaten auf, spätestens von 2011 an ihre Schulden in den Griff zu bekommen. Schon nächste Woche will die EU-Kommission Deutschland und andere EU-Staaten zu Maßnahmen gegen ausufernde Haushaltsdefizite auffordern. Verfahren gegen einen Verstoß gegen den Stabilitätspakt wurden bereits auf den Weg gebracht. Der Pakt begrenzt die Neuverschuldung auf drei Prozent vom Bruttoinlandsprodukt (BIP). 2010 werden fast alle EU-Staaten diese Grenze überschreiten.