60 Prozent aller deutschen Großunternehmen betroffen. Zwei Drittel aller Delikte werden von Führungskräften verübt und kosten Millionen.

Hamburg. Betrügereien, Unterschlagungen, Raubkopien und Korruption - Wirtschaftsstraftaten dieser Art haben in den vergangenen zwei Jahren mehr als 60 Prozent aller deutschen Großunternehmen getroffen, mit steigender Tendenz. Vor allem aber nimmt die Schadenshöhe drastisch zu. So verursachte jedes aufgedeckte Delikt im Schnitt einen Schaden von fast 4,3 Millionen Euro, während dies im Zeitraum von 2005 bis 2007 erst knapp 1,6 Millionen Euro waren. Unverändert kommen Zusatzaufwendungen wie etwa Anwaltskosten von gut 800 000 Euro hinzu. Diese Zahlen gehen aus einer Studie der Wirtschaftsprüfungs- und Beratungsgesellschaft PricewaterhouseCoopers (PwC) und der Universität Halle-Wittenberg hervor. Befragt wurden 500 Firmen mit mehr als 500 Beschäftigten. Allein 2008 betrug der Gesamtschaden nach Angaben des Bundeskriminalamts 3,43 Milliarden Euro.

Unter den einzelnen Straftaten dominieren laut Studie die Vermögensdelikte (Betrug, Unterschlagung) und Wettbewerbsdelikte (Kartellabsprachen, Produktpiraterie, Datendiebstahl) mit je rund 40 Prozent aller Fälle, gefolgt von Korruption (13 Prozent). Dabei verursachten die Wettbewerbsstraftaten mit 5,8 Millionen Euro die größten Durchschnittsschäden - und Produkt- oder Markenpiraterie gehören nach PwC-Erkenntnissen zu den in Norddeutschland besonders häufigen Delikten.

Für die kommenden Jahre erwarten die Unternehmen auch angesichts der Wirtschaftskrise einen weiteren Anstieg der Wirtschaftskriminalität. Einer der Faktoren ist die Angst um den Arbeitsplatz: "Täter, die sich fragen müssen, ob sie ihren Job in einem Jahr noch haben oder künftig von Hartz IV leben müssen, sind eher geneigt, vorher noch etwas für sich abzuzweigen", sagte Steffen Salvenmoser, zuständiger Partner bei PwC, dem Abendblatt. Hinzu komme noch ein weiteres Motiv: Wenn es für eine Firma enger werde, dann seien die Verantwortlichen schon einmal bereit, für einen wichtigen Auftrag auf Forderungen nach Schmiergeld einzugehen.

Eine Mehrheit (51 Prozent) der Haupttäter stammt aus den geschädigten Unternehmen selbst. Der "typische" Täter ist männlich (in 90 Prozent der Fälle) und seit mehr als zehn Jahren in der Firma beschäftigt. Gut zwei Drittel der Straftaten werden von Führungskräften begangen.

Die Tatmotive sind aus Sicht der befragten Unternehmen vielfältig. Die Mehrzahl der Überführten wurde offenbar wegen einer Kombination aus finanziellen Anreizen (55 Prozent) und mangelndem Unrechtsbewusstsein (62 Prozent) straffällig.

Bemerkenswert ist, dass sich Täter zuletzt seltener vor Gericht verantworten mussten. Stellten die Unternehmen zwischen 2005 und 2007 noch gegen 61 Prozent der Überführten eine Strafanzeige, sank die Quote zwischen 2007 und 2009 auf 50 Prozent. Bei Tätern aus dem Top-Management geschah dies sogar nur in 33 Prozent der Fälle.

"Wenn man Strafanzeige erstattet, erhöht sich die Gefahr, dass die Sache in die Öffentlichkeit gerät", erklärte Salvenmoser. Angesichts der drohenden Folgeschäden wie einem Reputationsverlust entschieden immer mehr Unternehmensleitungen, es mit einer fristlosen Kündigung bewenden zu lassen.

Denn die direkten Kriminalitätskosten seien oft nur die Spitze des Eisbergs. "Vor allem bei Korruption, Datendiebstahl oder auch Preisabsprachen wiegt der Schaden für den Ruf des betroffenen Unternehmens mittlerweile schwerer als der messbare finanzielle Verlust", betont Salvenmoser. So hat im Zeitraum von 2007 bis 2009 annähernd jedes zweite Unternehmen einen erheblichen Reputationsverlust infolge einer aufgedeckten Straftat erlitten. In der Vorläuferstudie von 2007 war dies nur bei 27 Prozent der Befragten der Fall. Zudem berichtete jedes vierte Unternehmen, das an einer Kartellabsprache beteiligt war, über große Folgeschäden, etwa durch die Abwanderung von Kunden oder verstärkte Kontrollen der Behörden.

Vor diesem Hintergrund sei es überraschend, so Salvenmoser, dass die befragten Unternehmen ihre Investitionen in Präventions- und Kontrollmaßnahmen kaum erhöhen wollen. Jedes fünfte will das Budget in den kommenden zwei Jahren sogar kürzen.