Landwirte bekommen 22 Cent pro Liter - das deckt die Kosten gerade zur Hälfte. Sie drohen mit Boykott.

Hamburg/Bargteheide. Auf dem Hof von Jens Untiedt (52) in Bargteheide ist es erstaunlich ruhig. Dort wo das Muhen der Kühe, das Trampeln der Tiere auf dem Stallboden zu hören war, ein reges Hin und Her zwischen Stall, Wirtschaftsgebäuden und Weide herrschte, wirkt es unnatürlich leer. Der Innenhof ist gefegt und kein Tier wird ihn in Zukunft mehr verschmutzen. Denn Untiedt gibt seinen Milchviehbetrieb auf, hat den Großteil seiner 60 Tiere bereits verkauft. Die wenigen Kühe, die im Stall stehen, sollen in den nächsten Wochen den Hof verlassen.

"Es macht einfach keinen Sinn mehr, ich höre auf", sagt der Bauer mit den roten Wangen. Der Schritt ist ihm nicht leicht gefallen. "Aber wir leben seit Jahren von der Substanz und jetzt ist Schluss." Künftig will er seine Familie mit Ackerbau ernähren, sein Weideland hat er schon verpachtet. "Wir werden den Gürtel enger schnallen müssen, das ist klar", sagt er und ringt um Fassung. Er habe zusammen mit seiner Frau Beate (48) und den Töchtern Jana (14) und Carina (15) den Schritt genau durchdacht. "Es hat einfach keine Alternative gegeben."

Rund 20 Cent bekommt Untiedt im Moment für den Liter Milch von der Molkerei. Zu wenig. "Um kostendeckend arbeiten zu können, bräuchte ich 45 Cent pro Liter", sagt Untiedt, der den Hof bereits in vierter Generation bewirtschaftet. Schließlich habe er Ausgaben für Futter, Maschinen und Energie. "Und hier sind die Preise nicht so gesunken."

Der Preisverfall hat vor allem zwei Gründe: Zum einen ist europaweit zu viel Milch auf dem Markt. Aus diesem Grund können Lebensmittelhändler und Discounter die Preise drücken. Den Milchproduzenten macht zusätzlich die Finanzkrise zu schaffen. Die Exporte von Agrarprodukten brechen ein. "Im Januar wurde beispielsweise 40 Prozent weniger Butter exportiert als im gleichen Monat 2008", sagt Runa Mosel, Referentin für Milch beim Deutschen Bauernverband (DBV). Diese Milch, die für Butter oder andere Exportprodukte nicht verarbeitet wurde, verstärke das Überangebot. Und drücke den Preis.

Der Bundesverband Deutscher Milchviehhalter (BDM) fordert jetzt im Schnitt mindestens 40 Cent pro Liter für die Erzeuger. "Das ist das Mindeste, das ein Bauer im Schnitt braucht, um nachhaltig wirtschaften zu können", sagt Hans Foldenauer, Sprecher des Verbandes. Der aktuelle Durchschnittpreis liegt aber mit 22 Cent je Liter weit davon entfernt, "wobei die Tendenz zu 20 Cent geht", so Foldenauer. Im Norden hätten einige Molkereien für den April sogar nur 16 Cent bezahlt.

Der BDM schlägt deshalb Alarm. "Bis zum Jahresende könnten 25 bis 30 Prozent der deutschen Milchbauern vom Markt verschwinden", sagt Foldenauer. Nach einer Infratest-Umfrage rechnen zwei Drittel der Landwirte damit, in den kommenden zwölf Monaten ihren Betrieb aufgeben zu müssen. "Und das sind nicht nur die kleinen Höfe." Im Norden und Osten der Republik stünden bereits die ersten Großbetriebe vor dem Aus. Auch der DBV warnt vor Pleiten in der Landwirtschaft. "Es haben bereits etliche Betriebe aufgehört", sagt Runa Mosel. "Wenn sich an der Situation nichts ändert, wird es deutlich mehr Aufgaben geben."

Beide Verbände fordern Hilfe von der Politik. "Wir diskutieren über Arbeitsplätze bei Opel, aber in Deutschland gibt es 400 000 landwirtschaftliche Betriebe, die Hilfe bräuchten und von denen keiner spricht", so Mosel. Der Verband hat eine Reihe von Forderungen formuliert: Der Absatz soll gefördert, Belastungen und Kosten gesenkt und die Bauern finanziell unterstützt werden. "Zudem brauchen wir ein Konjunkturpaket für die Landwirtschaft."

Der BDM drängt zudem darauf, dass sich Bundeskanzlerin Angela Merkel in die Diskussion einschaltet und will deshalb mit Protesten und Aktionen auf sich aufmerksam machen. Gestern zogen bereits rund 200 Bäuerinnen vor das Bundeskanzleramt nach Berlin. "Sie wollen so lange vor den Gebäude ausharren, bis Merkel sich der Thematik annimmt", so Foldenauer vom BDM. Selbst einen erneuten Milchboykott schließt der BDM-Sprecher nicht aus. "Das wäre sicher das letzte Mittel, zu dem die Landwirte in ihrer Not greifen."

Bauer Untiedt werden diese Proteste und Diskussion nicht mehr helfen. Er hat seine Entscheidung gefällt. Ein Gang mit der Familie durch den Kuhstall fällt ihm sichtlich schwer. "Ich bin mit den Tieren groß geworden, kann mir nicht vorstellen, wie das ohne sie werden soll."