Christopher Flemming verlor seinen Job im Schiffbau. Nun fertigt er Holzspielzeug – nur wenige Meter von seinem alten Arbeitsplatz entfernt.

Hamburg. "Tischler? Nein, die gibt es hier nicht mehr." Der Pförtner am Tor der Hamburger Sietas-Werft blickt ein wenig ratlos, als wir nach der Werkstatt von Christopher Flemming fragen. Er wälzt ein dickes Verzeichnis, ruft in der Verwaltung an. Nein, kein Tischler namens Flemming. Seltsam, denn am Telefon hatte der Jungunternehmer extra erwähnt, dass wir uns hier melden sollten, um zu seinem kleinen Betrieb zu gelangen.

Zehn Minuten dauert die Suche auf dem weitläufigen Gelände, dann erscheint auf der anderen Seite des Neuenfelder Fährdeichs ein Mann in dunkler Zimmermannskluft. Schwarze Haare, zotteliger Bart. Ein schmächtiger, 40 Jahre alter Hotzenplotz mit freundlichen, braunen Augen und kräftigen Händen, die gelernt haben zuzupacken. "Kommt mit", sagt er und steuert vorbei an verwinkelten Gärten und Obstplantagen auf ein Haus mit einer Hütte zu. Die Gebäude gehören seit Jahren der Familie Flemming, sind aber nur durch eine Schranke der Werft zu erreichen.

Nach seiner Entlassung bei Sietas hat sich der Tischler hier eine neue Existenz aufgebaut. Hammer und Hobel hängen an den Wänden, es duftet nach frisch geschnittenem Kiefern- und Buchenholz. Auf der Werkbank steht ein selbst gebauter Trecker, so groß wie ein Bobbycar, daneben kleine Eisenbahnen und anderes Holzspielzeug. "Nach der Kündigung hatte ich die Wahl", sagt Flemming. "Entweder, ich arbeite wieder für einen Mann mit einer großen Brieftasche oder ich versuche, meinen Traum zu verwirklichen." Er entschied sich für den Traum einer eigenen Werkstatt.

Dabei war der Geselle in seinem alten Job auf der Hamburger Traditionswerft keineswegs unglücklich. 20 Jahre arbeitete Flemming für Sietas, ein halbes Leben lang. Mit rund 50 Kollegen fertigte er die Innenausstattung der Containerfrachter, die in Neuenfelde in den Baudocks lagen: Tische und Stühle für die Mannschaftsmessen, Kapitänskajüten und die Quartiere für die einfachen Matrosen. "Da drüben war unsere alte Tischlerei", sagt der Handwerker und deutet auf ein verlassen wirkendes Fabrikgebäude auf der anderen Straßenseite.

Doch vor zweieinhalb Jahren war plötzlich Schluss. Ende 2009 lief mit der MS "Embassy" das letzte Containerschiff bei Sietas vom Stapel. Das Ende einer Ära, die Werft hatte bei diesen Modellen endgültig den Kampf mit der asiatischen Billigkonkurrenz verloren. Statt auf simple Frachter sollte sich die Firma nun auf anspruchsvolle Spezialschiffe wie Bagger oder Fähren konzentrieren. Der Chef baute das einstige Familienunternehmen radikal um und schloss gleich mehrere Abteilungen, darunter auch die Tischlerei. Ein Schock für Flemming und seine Kollegen, die sich neu orientieren mussten.

Die Männer landeten in einer Transfergesellschaft, die sie auf ein Leben nach dem Schiffbau vorbereiten sollte. Einige Gesellen machten ihren Meister, andere heuerten bei der Konkurrenz an. Flemming aber absolvierte einen Existenzgründerkurs und begann, den alten Schweinestall im Garten seines Hauses in eine Tischlerwerkstatt zu verwandeln. 30 000 Euro steckte er in das Projekt, das gesamte Geld aus seiner Abfindung und die Ersparnisse seiner Frau Sabrina. "Mach das jetzt, sonst machst du es nie", sagte sie zu ihm.

"Holzstoffel - Die kreative Holzwerkstatt" taufte Flemming seinen Ein-Mann-Betrieb. "Stoffel haben mich die Kollegen immer auf der Arbeit genannt", sagt der Tischler und lächelt etwas verlegen. "Vielleicht, weil ich ein bisschen chaotisch veranlagt bin. Es war aber immer nett gemeint."

In jedem Fall ist Flemming ausgesprochen kreativ. In seiner Werkstatt steht ein bequemer, selbst gebauter Schaukelstuhl, dessen Armlehnen wie ein Frosch aussehen. Sitzkisten mit einem Piraten- oder einem Eselpuzzle hat er entworfen. Dazu Weinhalter, Rahmen und Fotomappen aus Buche oder Nussbaum. Sein jüngstes Projekt sind hölzerne Brillengestelle.

"Dieses Stück liegt mir besonders am Herzen", sagt der Handwerker und deutet auf eine Kiste mit lauter Holzwürfeln, auf denen verschiedene Obstsorten abgebildet sind. "Altländer Schach" nennt er das selbst entwickelte Spiel - eine Mischung aus Boule und Kniffel, bei dem die Kontrahenten unterschiedliche Kombinationen werfen müssen und dafür Punkte bekommen.

+++ Mehrere Bewerber für Sietas-Werft +++

Einfach ist Flemmings neue Existenz als Ein-Mann-Unternehmer allerdings nicht. Am liebsten würde der Tüftler nur in seiner Werkstatt sitzen und sich immer neue Möbel und Spielzeuge ausdenken. Doch einen Großteil seiner Zeit verbringt er auf Messen oder Festen, um seine Kreationen an den Mann zu bringen und um Werbung für sich zu machen.

Bislang verkauft Flemming seine Artikel überwiegend über einen Onlineshop und über einige Hofläden im Alten Land. Freunde bestellen ab und an einen Weinhalter, auch ehemalige Kollegen kaufen für die eigenen Kinder ein. "Das Interesse ist groß, doch im Internet sind viele ähnliche Artikel günstiger zu bekommen", sagt er. Außerdem macht dem Jungunternehmer der Wust an EU-Vorschriften und "Konformitätserklärungen" zu schaffen, durch die er sich als Hersteller von Holzspielzeug kämpfen muss. "Alle Teile müssen bestimmten Normen entsprechen, müssen abgerundet und so gestaltet sein, dass Kleinkinder sie nicht verschlucken können."

Das Schicksal seines früheren Arbeitgebers verfolgt der Tischler nur noch am Rande. Ende vergangenen Jahres schlitterte die Sietas-Werft noch tiefer in die Krise und musste Insolvenz anmelden. Noch einmal 350 Mitarbeiter verloren ihren Arbeitsplatz. Seitdem hofft man in dem Unternehmen auf einen Investor und neue Aufträge für Spezialschiffe. Derzeit befinden sich zwei Fähren, ein Bagger und ein Zulieferschiff für Offshore-Windparks im Bau. 375 Menschen arbeiten heute noch auf der Neubauwerft, 450 weniger als 2009. "Ich kenne da drüben kaum noch jemanden", sagt Flemming.

+++ Die Sietas-Werft - Schiffbautradition seit 1635 +++

Der Tischler ist genug mit seinem eigenen Betrieb beschäftigt. Leben kann er von der kleinen Werkstatt noch nicht, seine Frau bringt als Mediendesignerin das Geld für die Familie nach Hause. Im Herbst werden die beiden ihr erstes Kind bekommen, bis dahin sollte sich die Tischlerei rentieren. "Sonst muss ich mir überlegen, etwas anderes zu machen und vielleicht doch wieder eine Festanstellung annehmen", sagt Flemming.

Im Augenblick hat der Tischler aber noch jede Menge Ideen im Kopf, die er ausprobieren möchte. Ob er schon mal über den Bau eines Holzschiffs nachgedacht hat? "Nein", sagt Flemming und streicht sich über den dunklen Bart. "Da habe ich mich noch nicht rangetraut. Aber das wäre mal ein schönes Projekt."

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