Wirtschaftswissenschaftler uneins über Lohnforderungen der IG Metall. Heute nächste Verhandlungsrunde im Norden

Hamburg. Die Sechs ist die magische Zahl in den derzeit laufendenTarifverhandlungen. Die Telekom Deutschland hat sich mit der Gewerkschaft Ver.di auf 6,5 Prozent mehr Lohn geeinigt. Für die Chemie will die Gewerkschaft BCE ein um sechs Prozent höheres Entgelt, und die Metaller machen mit Warnstreiks deutlich, dass sie es mit ihrer Forderung nach einem um 6,5 Prozent höheren Einkommen ernst meinen. Auch für die 100 000 Beschäftigten bei VW, für die gestern in Salzgitter die erste Runde ohne Ergebnis blieb, gilt dasselbe Niveau.

Die Forderungen hält der Bremer Wirtschaftsprofessor Rudolf Hickel für angemessen. "Sie sind das richtige Signal für die Beschäftigten. Denn sie haben in der Krise große finanzielle Opfer gebracht", sagte er gestern dem Abendblatt. Zwar wird es auch nach seiner Ansicht nicht zu sechsprozentiger Lohnerhöhung in der Metall- oder Chemiebranche kommen. Denn das gilt selbst für die 50 000 Beschäftigten der Telekom Deutschland in den Bereichen Festnetz, Mobilfunk und Servicebetriebe nicht. Die Erhöhung wird vielmehr in drei Stufen über zwei Jahre gezahlt.

Höhere Löhne seien aber nicht nur gerecht, wenn man sich die Verteilung der Einkommen zwischen Arbeitgebern und Arbeitnehmern ansehe, soHickel. Sie trügen auch dazu bei, die Nachfrage im Inland zu stärken und gleichzeitig den Außenhandelsüberschuss Deutschlands zu vermindern. "Schließlich werden bei höheren Einkommen auch mehr Waren importiert."

Der Professor hält es für möglich, dass die IG Metall mit einem Lohnzuwachs von 6,5 Prozent abschließt -allerdings gestreckt über eine längere Laufzeit wie bei der Telekom. Die Gewerkschaft lehnt es jedoch ab, länger als für zwölf Monate abzuschließen.

Abschlüsse von drei bis vier Prozent bezeichnete Jörg Hinze, Konjunkturexperte beim Hamburgischen WeltWirtschaftsInstitut (HWWI), als angemessen. Hinze verwies darauf, dass sich die Chemie- und die Metallbranche gut entwickelt hätten. So zahlten zuletzt vor allem die Autokonzerne hoheSonderausschüttungen an ihre Mitarbeiter. Den Verteilungsspielraum für höhere Löhne, der sich aus steigender Produktivität und steigenden Preisen zusammensetzt, sieht das HWWI bei drei Prozent. Bei gut aufgestellten Branchen könnte auch eine Vier vor dem Komma stehen, so Hinze. "Mehr sollte es aber nicht werden, weil sonst Firmen unter Druck geraten, deren Auftragslage nicht so gut ist."

Anders sieht dies das arbeitgebernahe Institut der deutschen Wirtschaft (IW) in Köln. "Die Lohnerhöhungen sollten sich nur im Rahmen des Produktivitätswachstums und der Preissteigerungen bewegen, die die Unternehmen durchsetzen können", sagte der Tarifexperte Hagen Lesch. Diese Preissteigerungen seien deutlich niedriger als die Werte für die Verbraucherpreise. Das IW sieht zudem keinen Nachholbedarf bei den Entgelten. Die Lohnzurückhaltung habe zudem zu mehr Beschäftigung und damit zu steigendem Konsum geführt. "Die Arbeitgeber haben den Metallern drei Prozent mehr für 14 Monate angeboten", sagte Lesch. "Das ist eine gute Verhandlungsbasis."

An diesem bundesweiten Angebot soll sich vorerst nichts ändern. Das gilt auch für den Norden. "Wir haben uns bewegt, jetzt ist die Gewerkschaft an der Reihe", sagte Peter Haas, Sprecher des Arbeitgeberverbandes Nordmetall. Auch Haas verweist darauf, dass in der Krise zwischen 2008 und 2011 die Löhne um neun Prozent gestiegen seien. "Das Angebot von drei Prozent ist das höchste seit 20 Jahren, einen größeren Spielraum sehen wir nicht."

Heute ist in Bremen die nächste Verhandlungsrunde für den IG-Metall-Bezirk Küste angesetzt. Dass sich die Tarifparteien näherkommen, gilt als unwahrscheinlich. "Es gibt dafür keine Signale von der IG Metall", sagte Haas. Vergangene Woche hatten 29 000 Arbeitnehmer im Norden demonstriert.

Gut möglich, dass sich die Verhandlungen dahin entwickeln, dass zunächst für einen Pilotbezirk über die Löhne sowie die weiteren Forderungen der IG Metall nach der Übernahme der Lehrlinge und mehr Mitbestimmung beim Einsatz von Zeitarbeitern verhandelt wird. "Die Überlegungen gehen dahin, Baden-Württemberg zu wählen", sagte Heiko Messerschmidt, der Sprecher der IG Metall Küste. Dort ist nach dem gestrigen Treffen in Sindelfingen bereits für den 15. Mai die nächste Runde geplant. Im Süden wird für 800 000 Beschäftigte verhandelt, während es an der Küste um 140 000 geht. "Wir sind gespannt, ob es so kommt", sagte Nordmetall-Sprecher Haas, "und was es für den Norden bedeutet."