Europa, die USA und China unterstützen die Kandidatur der französischen Finanzministerin. Schwellenstaaten kritisch

Paris. Europa hat beste Aussichten, in der Schuldenkrise den wichtigen Chefposten des Internationalen Währungsfonds (IWF) zu behalten. Knapp eine Woche nach dem Rücktritt von Dominique Strauss-Kahn wegen eines Sexskandals kündigte gestern Frankreichs Finanzministerin Christine Lagarde ihre Kandidatur an.

Zuvor hatte sie sich die Zustimmung der entscheidenden Verbündeten gesichert: Diplomaten zufolge wird die 55 Jahre alte konservative Politikerin nicht nur von der Europäischen Union unterstützt, sondern auch von den USA und China. Allein die Stimmen der EU und den Vereinigten Staaten würden reichen, um die Anwärterin auch gegen den Widerstand von Schwellenländern durchzusetzen. Allerdings dringen aufstrebende Staaten wie Brasilien, Russland, Indien, China und Südafrika (BRICS) in einer gemeinsamen Erklärung vehement darauf, dass die Europäer ihren traditionellen Anspruch auf den IWF-Chefsessel aufgeben.

Lagarde machte deutlich, diese Forderungen ernst zu nehmen, und signalisierte ihre Bereitschaft zu Reformen. Sollte sie gewählt werden, wolle sie sich dafür einsetzen, dass der Währungsfonds flexibler und der Einfluss der Schwellenländer gestärkt werde, sagte sie. Das Amt bezeichnete Lagarde als "immense Herausforderung, die ich mit Demut angehe, und in der Hoffnung, die größtmögliche Zustimmung zu erreichen". Die Unterstützung aus einer ganzen Reihe von Ländern habe sie zu ihrer Kandidatur ermutigt. "Ein Europäer zu sein, sollte kein Plus sein, es sollte aber auch kein Minus sein", so die Französin.

Auch Bundeskanzlerin Angela Merkel hat sich für Lagarde starkgemacht - nicht zuletzt in Ermangelung eines geeigneten deutschen Kandidaten. Angesichts der Schuldenkrise in vielen Euro-Ländern begrüßte auch EU-Kommissionschef José Manuel Barroso die Kandidatur der Französin. "Frau Lagarde ist in der internationalen Gemeinschaft gut angesehen", sagte er.

Der IWF ist an den Rettungspaketen für Griechenland, Irland und Portugal beteiligt. Lagarde gilt als Gegnerin radikaler Schritte zur Lösung der Krise. Sie bekräftigte, grundsätzlich gegen eine Umschuldung zu sein. Ein solcher Schritt war zuletzt für das schwer angeschlagene Griechenland im Gespräch.

In der politischen Szene gilt die 55-Jährige als selbstbewusst und hochprofessionell. Bevor sie in die Politik ging, machte sie Karriere in den USA und leitete eine der weltgrößten Anwaltskanzleien in Chicago. In dieser Position knüpfte sie zahlreiche Kontakte und trainierte ihr Verhandlungsgeschick. Zudem spricht sie makelloses Englisch, was bei französischen Politikern nicht selbstverständlich ist.

Als Frankreichs Präsident Nicolas Sarkozy sie in die Regierung holte, eckte sie hier und da mit ihrer geradlinigen, disziplinierten Art an. Auch kann sie provozieren. Mit ihren Attacken gegen die deutsche Wirtschafts- und Steuerpolitik löste sie einen Minieklat aus. Damals forderte sie überraschend, dass Deutschland Steuern senken sollte, um die Binnennachfrage anzukurbeln.

Schon als Jugendliche hatte sie sich für ein Hobby entschieden, das äußerste Disziplin und Teamgeist verlangt: Als Synchronschwimmerin bekam sie im Alter von 15 Jahren eine Bronzemedaille bei den französischen Meisterschaften. Die Zähne zusammenbeißen und lächeln - das hilft ihr auch heute noch, wenn sie für Sarkozy den Kopf hinhält und seine interventionistischen Ideen verteidigt, obwohl sie ihr vermutlich selber gegen den Strich gehen.

Die Kandidatur der Französin gefährden könnte noch die heimische Justiz. Lagarde steht unter dem Verdacht des Amtsmissbrauchs, weil sie zugelassen hat, dass der mit Präsident Sarkozy vertraute Geschäftsmann Bernard Tapie im Streit mit der Bank Crédit Lyonnais eine Rekordentschädigung in Höhe von 285 Millionen Euro erhalten hat. Am 10. Juni soll sich entscheiden, ob die Ermittlungen wegen dieses kostspieligen Vergleichs aufgenommen werden. Am selben Tag endet auch die Frist des IWF für die offizielle Nominierung von Kandidaten für die Nachfolge Strauss-Kahns, der in den USA wegen versuchter Vergewaltigung eines Zimmermädchens angeklagt ist. Aus den Vorschlägen will das IWF-Führungsgremium dann drei Kandidaten in die engere Auswahl nehmen. Bis Ende Juni soll eine Entscheidung fallen.

Die Ministerin äußerte sich gelassen zu den Vorwürfen: "Ich handelte im Interesse des Staates und unter Beachtung der Gesetze." Lagarde wäre die erste Frau, die auf dem IWF-Chefsessel Platz nehmen würde. Bislang wird der Posten seit Gründung des wichtigen Kreditgebers für in Not geratene Länder immer von einem Europäer besetzt.

Die Gunst der Chinesen erwarb sich Lagarde im Rahmen der Verhandlungen der 20 größten Industrie- und Schwellenländer (G20), die in diesem Jahr unter dem Vorsitz Frankreichs geführt werden. Französischen Regierungsvertretern zufolge begrüßte Peking insbesondere Lagardes sensiblen Umgang mit dem strittigen Thema Yuan-Kurs. Vor allem die USA werfen China vor, sich durch eine künstliche Abwertung der heimischen Währung unfaire Handelsvorteile zu verschaffen.