Kurs des Onlinenetzwerks LinkedIn zum Börsenstart in die Höhe geschossen. Wert der Firma: Knapp 6 Milliarden Euro. Folgt bald der Absturz?

Hamburg. Einen derartigen Boom hatten nicht einmal Optimisten erwartet: Mehr als verdoppelt hat sich der Kurs des Karriereportals LinkedIn am ersten Handelstag - und das, nachdem man die Zeichnungsspanne noch kurz vor dem Börsengang wegen der großen Nachfrage bereits nach oben angepasst hatte.

Knapp neun Milliarden Dollar (6,3 Milliarden Euro) war die gerade erst neun Jahre alte Firma zu Handelsschluss wert. Damit war LinkedIn teurer als der DAX-Konzern Merck und fast so teuer wie die Lufthansa.

Doch LinkedIn ist längst nicht das einzige junge Internetunternehmen mit einer derart hohen Bewertung. Der chinesische Facebook-Klon renren war zum Börsenstart Anfang Mai in New York 7,5 Milliarden Euro wert. Der Gutscheindienst Groupon, der ebenfalls an die Börse will, kostet Branchenschätzungen zufolge bis zu 20 Milliarden Dollar. Und Facebook, der neue Star unter den sogenannten sozialen Netzwerken im Internet, wird auf der Basis von Mitarbeiteraktien aktuell sogar auf knapp 80 Milliarden Euro taxiert.

"Die Geschwindigkeit, mit der die Bewertungen nach oben schnellen, erinnert teilweise durchaus an die Phase des Neuen Marktes", sagt Frank Thormann, Portfoliomanager bei Union Investment. Schon angesichts der angelegten Maßstäbe fühlen sich viele Beobachter an den Börsenboom der Jahre 1999/2000 erinnert: Der Börsenwert von LinkedIn liegt mehr als 590-mal so hoch wie der Gewinn. "Wir sehen hier bei einem Neuling eine Bewertung, die gemessen am Umsatz so hoch ist wie bei Google, obwohl wir noch gar nicht wissen, ob nachhaltig Gewinne erzielt werden", sagt André Will-Laudien, Abteilungsleiter Research beim Bankhaus Donner & Reuschel. "Wäre die Bewertung von LinkedIn nur ein Drittel so hoch, wäre sie immer noch sehr hoch."

Selbst defizitäre Firmen sind äußerst gefragt: Dass der Internettelefoniedienst Skype im vergangenen Jahr rote Zahlen schrieb, hinderte Microsoft nicht daran, kürzlich 8,5 Milliarden Dollar für das Unternehmen zu zahlen. "Der Kauf von Skype durch Microsoft war eine Verzweiflungstat", meint Will-Laudien. "Microsoft hat in den vergangenen Jahren so viele Trends verschlafen, dass sie nun zugreifen mussten, um eines der Unternehmen aus dem Umfeld der sozialen Medien zu besitzen."

In Bezug auf die tatsächlich erzielten Erträge seien dies zwar alles "Fantasiepreise", so der Experte. "Aber hier geht es nicht um die Gewinne von heute, sondern um die Werbemärkte der nächsten Jahrzehnte. Denn die sozialen Netzwerke ermöglichen eine sehr viel zielgenauere Werbung als bislang."

Für Will-Laudien steht fest, dass die Ära der Onlinenetzwerke erst beginnt. Ob der entsprechende Börsenboom sich aber noch viele Monate halten könne, sei allerdings zweifelhaft: "Börsen übertreiben gern, und das ist jetzt eine solche Übertreibung."

Aber es gibt auch deutliche Unterschiede zu den Zeiten des New-Economy-Hypes zum Jahrtausendwechsel. So ist die allgemeine Bewertung von Technologietiteln derzeit weit vom damaligen Niveau entfernt: Während der entsprechende New Yorker Index Nasdaq im Jahr 2000 bis auf 5000 Punkte hochschoss, notiert dieses Börsenbarometer jetzt bei weniger als 3000 Zählern.

Und noch etwas unterscheidet den aktuellen Internet-Boom von der damaligen Börseneuphorie: "Damals erhielten wir pausenlos Anrufe von Privatanlegern, die wissen wollten, welche Titel sie kaufen können", erklärt Will-Laudien. "Heute gehen die Kurssteigerungen an den Privataktionären weitgehend vorbei - sie schauen nur mit großen Augen zu." Die Erinnerung an die drastischen Kursabstürze der Jahre 2000 bis 2002 wirkt offenbar doch noch nach. Dagegen suchen Profianleger nach Investitionschancen, nicht zuletzt weil die Zentralbanken seit der Finanzkrise die Märkte mit Liquidität fluten.

Für Privataktionäre ist es derzeit ohnehin schwer abzuschätzen, welche der aufstrebenden Internetfirmen eine aussichtsreiche Zukunft haben und welche nicht. Trends haben in dieser Branche eine kurze Halbwertszeit. "Die Barrieren für einen möglichen Anbieterwechsel der Kunden sind gering, denn die Konkurrenten sind nur ein paar Klicks weit weg", sagt Thormann. Dies zeigt das Beispiel Myspace: Noch vor wenigen Jahren galt dieses Unternehmen als Pionier auf dem Gebiet der sozialen Netzwerke, heute spricht kaum jemand mehr davon - Facebook hat sich durchgesetzt.

Ein Rat aber sei in jedem Fall angebracht, so Thormann: "Man sollte keine Aktie kaufen, nur weil der Kurs am Vortag um 100 Prozent gestiegen ist."