Deutsche Werftindustrie steht unter existenziellem Druck aus Asien. Branche fordert von Politik Sofortprogramm

Hamburg. Das Ambiente im Hamburger Hotel Atlantic ist so stolz und edel wie immer. Hier trafen sich gestern die Mitglieder des Verbandes für Schiffbau und Meerestechnik (VSM) zu ihrer Jahrestagung. Doch die Kulisse passt nicht zur desolaten Lage des deutschen Schiffbaus, obwohl auch das Atlantic ein Sanierungsfall ist. Dem Haus sieht man das auf den ersten Blick allerdings nicht an, den Jahreszahlen des VSM hingegen schon. Die Anzahl der Aufträge im Bestand und deren Gesamtwert, der Umsatz 2009 und die Zahl der Mitarbeiter auf den deutschen Werften - alle Kennziffern sinken.

Der VSM und der Bezirk Nord der Gewerkschaft IG Metall fordern deshalb in einem Brandbrief an die Bundesregierung ein "Sofortprogramm" für den deutschen Schiffbau. Die Branche will vor allem einen verbesserten Bürgschaftsrahmen der bundeseigenen KfW-Bank, aber auch "Nachfragestimulierung" etwa durch kurzfristige Aufträge für Marineschiffe und öffentliche Unterstützung für "Innovationen und Umweltschutz".

Der Grund für die Misere ist die zurückliegende Weltwirtschaftskrise. In deren Verlauf stagnierte der Welthandel, etliche Schiffbauaufträge wurden storniert. Zugleich baut die Konkurrenz in Asien ihre Übermacht aus, um weitere Marktanteile zu erobern: "Wir befinden uns in einem ruinösen Preiskampf mit asiatischen, aber auch mit europäischen Anbietern, bei dem die Konkurrenz aufgrund der dortigen Staatsinterventionen derzeit die Nase vorn hat", sagte VSM-Vorsitzer Werner Lüken. Das Wort "derzeit" klingt optimistisch, es deutet an, dass dieser Zustand vorübergeht. Aber was bleibt dann übrig vom Schiffbau in Deutschland? "Viele unserer Mitglieder sind hoffnungsvoll, die Krise zu überleben", sagte Bernard Meyer, Eigner der gleichnamigen und größten deutschen Werft in Papenburg, die vor allem Kreuzfahrtschiffe baut. "So schlimm wie jetzt war es für unsere Branche zuletzt während der Ölkrise Anfang der 70er-Jahre."

Rund 22 000 Mitarbeiter zählten die Stammbelegschaften der deutschen Werften durchschnittlich im Jahr 2009, etwa 1600 weniger als 2008, heißt es in der Statistik des VSM. Eine Reihe von Werften ist insolvent. Vor allem in ohnehin strukturschwachen Regionen wie Emden, Bremerhaven, Kiel, Wismar oder Rostock befindet sich die Branche im Niedergang. Die Zukunft des größten ostdeutschen Werftunternehmens Nordic Yards ist ungewiss.

Seit Jahrzehnten sinkt die Zahl der Werftarbeiter in Deutschland. Zwar wuchs dafür die Zahl der Stellen bei den industriellen Zulieferunternehmen, sei es im Motorenbau, der Elektronik oder der Inneneinrichtung von Schiffen; gut 70 000 Arbeitsplätze sind dies derzeit insgesamt. Die Zulieferer arbeiten für Werften weltweit, die Gewinne schreiben. Doch im eigenen Land wird der deutsche Schiffbau unterdessen immer mehr an den Rand gedrängt.

Eine Kernziffer dafür ist das umbaute Volumen der abgelieferten Schiffe in einer gewichteten "Raumzahl" (CGT). Nach diesem Maßstab hielt Deutschland 2009 einen Anteil am Weltmarkt von gerade noch 1,6 Prozent, Südkorea aber von 33 und China von 28 Prozent. Als drittgrößte Schiffbaunation folgt Japan mit immerhin noch 21 Prozent Weltmarktanteil.

Seit Jahrzehnten verdrängen die asiatischen Staaten Deutschland beim Bau von Handelsschiffen in Großserien. Die deutschen Werften zogen sich auf den Bau technologisch anspruchsvollerer Schiffe in kleinen Stückzahlen zurück. Der Boom der Containerschifffahrt im zurückliegenden Jahrzehnt brachte obendrein auch in Deutschland noch einmal volle Auftragsbücher für Containerfrachter. Mit der Weltwirtschaftskrise kam dann die Abrechnung: "Allein die deutschen Werften haben seit Herbst 2008 bis heute 60 Stornierungen von Schiffbauaufträgen im Wert von etwa 2,2 Milliarden Euro zu verkraften", sagte VSM-Hauptgeschäftsführer Werner Lundt.

Für die Rückbesinnung auf den Bau von "Spezialschiffen" könnte die Zeit nun knapp werden. "Asiatische Anbieter drängen jetzt ins Kerngeschäft deutscher Werften und versuchen, die wenigen Aufträge für Spezialschiffe mit Tiefstpreisen für sich zu entscheiden", so Lüken. Sein Hauptgeschäftsführer Lundt präzisierte: "Hier geht es um Dumpingpreise, die nur möglich sind, weil die asiatischen Werften auf die finanzielle Unterstützung ihrer Regierungen zählen können."

Das RWE-Tochterunternehmen Innogy bestellte sein erstes Montageschiff für Windturbinen in europäischen Offshore-Windparks im Dezember nicht bei einer deutschen Werft, sondern bei Daewoo in Südkorea - obwohl Kapazität und Know-how für dieses Spezialschiff in Deutschland vorhanden wären. Auch beim Bau von Kreuzfahrtschiffen - neben U-Booten der Exportschlager der deutschen Werftbranche - steht die asiatische Konkurrenz bereit, um die Weltmarktführer in Europa anzugreifen, sagte Bernard Meyer: "Mitsubishi meldet sich beim Bau von Kreuzfahrtschiffen zurück, Samsung und Daewoo wollen rein. Der Druck wird weiter steigen."