Ein Kompromiss der deutschen Parteien gilt als Voraussetzung für den Fiskalpakt. Doch er lässt die wichtigsten Fragen unbeantwortet.

Berlin. Die Ausrede war persönlich angereist: David Cameron, Premierminister des Vereinigten Königreiches und damit auch des Finanzdistrikts in der Londoner City, war just an dem Tag zu Besuch in Berlin, als sich die Politik in Deutschland auf die Einführung einer Finanztransaktionssteuer zu einigen schien.

Monatelang war dies nicht gelungen - wegen Cameron. Denn der Brite hatte stets klargemacht, er werde einer solchen Steuer nur zustimmen, wenn sie weltweit eingeführt werde - also niemals. Die FDP kettete ihre Position daran: Ohne die City, Europas wichtigsten Börsenplatz, ergebe die Steuer keinen Sinn. Deutschlands Finanzstandort Frankfurt wäre nicht mehr wettbewerbsfähig. Das Argument bot zwei Vorteile: Erstens, es stimmt. Zweitens, die FDP konnte sich hinter dem Briten verstecken und musste den politisch schwierigen Kampf gegen die Steuer nicht selbst ausfechten.

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Bis gestern. Zwar veränderte Cameron seine Position nicht und erneuerte während einer Diskussionsveranstaltung mit Studenten im Kanzleramt seine Ablehnung. Doch zur selben Zeit verkündeten die Nachrichtenagenturen einen Durchbruch: "Koalition und Opposition erzielen Einigung über Finanzmarktsteuer." Von 9 bis 11 Uhr hatten die Unterhändler beider Seiten verhandelt, um Sätze und Wörter gerungen für ein Eckpunktepapier.

Es ist hinreichend unkonkret, damit sich alle als Sieger fühlen können. Die skeptische FDP, aber auch SPD und Grüne, die sich von einer solchen Abgabe wahre Wunder erhoffen. Sie könne "einen wichtigen Beitrag leisten, um die Kosten der Finanzkrise zu bewältigen", heißt es im Papier. Das freut vor allem die Opposition. "Uns ist es gelungen, erstmals ein uneingeschränktes Bekenntnis von Schwarz-Gelb zur Besteuerung der Finanzmärkte zu bekommen", sagt Joachim Poß, der für die SPD in der Arbeitsgruppe saß.

Tatsächlich hatten die Liberalen ihre Position schon bei einem ersten Treffen der Arbeitsgruppe am Dienstagabend geräumt. Von einer Mindestzahl an Teilnehmern war seitdem keine Rede mehr. Stattdessen stellte FDP-Verhandlungsführer Volker Wissing nun andere Hürden auf, die sich auch im Kompromisspapier finden: "Durch die Ausgestaltung der Steuer sind Ausweichreaktionen zu vermeiden", steht dort. Also die Verlagerung von Frankfurt nach London. Ebenso unerwünscht sind Auswirkungen auf "Instrumente der Altersversorgung, die Kleinanleger sowie die Realwirtschaft".

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Die Frage ist, wie sich bei einem möglichen Gesetzentwurf prüfen lässt, ob sie auch eingehalten werden. Das ist schwieriger als bei der Festlegung, wie viele Staaten teilnehmen müssen. Dazu findet sich in dem Papier keine konkrete Vorgabe, sondern nur der Vorsatz "möglichst viele Mitgliedstaaten". Es wird auf die EU-Methode der "verstärkten Zusammenarbeit" verwiesen, bei der mindestens neun Länder mitmachen müssen. Aber auch von "zwischenstaatlicher Zusammenarbeit" ist die Rede. Das lässt Interpretationsspielraum. Deshalb versuchten die Experten der Fraktionen die Meldungen, die einen Durchbruch verkündeten, wieder abzuschwächen. Man werde sich in der nächsten Woche die Details noch genau ansehen müssen, sagte Grünen-Fraktionschefin Renate Künast.

Am Mittwoch wird Merkel mit den Partei- und Fraktionschefs im Kanzleramt verhandeln. Es geht um die Zustimmung der Opposition zum Fiskalpakt, der den europäischen Staaten Haushaltsdisziplin vorschreibt und ein wichtiger Eckpfeiler von Merkels Euro-Rettungsstrategie ist. Da eine Zweidrittelmehrheit nötig ist, ist Merkel auf die Opposition angewiesen. Doch die stellt Forderungen. Neben der Finanzsteuer verlangen SPD und Grüne einen Schuldentilgungsfonds in der Euro-Zone und Maßnahmen, um die Konjunktur anzukurbeln. Auch darüber wurde gestern verhandelt. Eine Annäherung gab es nicht. "Bei dem von uns geforderten Altschuldentilgungsfonds besteht nach wie vor ein harter Dissens, und was die Regierung an Programmen zur Wachstumsförderung anbietet, ist viel zu wenig", sagte Künast.

Merkel muss gleichzeitig noch mit den europäischen Kollegen verhandeln. Mit Cameron hat sie noch mehr Differenzen als nur die Finanztransaktionssteuer. Noch am Dienstag hatte der Brite nach einem Telefonat mit US-Präsident Barack Obama einen "Sofortplan" und "Sofortmaßnahmen" zur Lösung der Euro-Krise gefordert. Das ging gegen die Kanzlerin, die in angelsächsischen Ländern immer stärker als Bremserin wahrgenommen wird.

Im ARD-Morgenmagazin bekannte sich Merkel gestern zu "mehr Europa" und kündigte einen Arbeitsplan für eine politische Union an: "Wir brauchen nicht nur eine Währungsunion, sondern wir brauchen eine Fiskalunion, also mehr gemeinsame Haushaltspolitik." Sie deutete zudem an, weitere Integrationsschritte nicht von der Zustimmung aller Mitgliedstaaten abhängig zu machen: "Wir dürfen deshalb nicht stehen bleiben, weil der eine oder andere noch nicht mitgehen will."

Einer, der wohl kaum mitgehen wird, sagte dies gleich am Nachmittag. Bei der Diskussionsrunde mit Studenten im Kanzleramt sagte Cameron, ein Problem Europas sei, dass es oft "versuche zu rennen", bevor "es laufen gelernt habe". Das war unausgesprochen auf Merkels Integrationsträume gemünzt, denen der Brite ein anders Konzept entgegenstellte: "Ich glaube, Europa funktioniert am besten, wenn Nationalstaaten zusammenarbeiten."

Und während Merkel vor den Studenten davon sprach, es gebe "Gemeinsamkeiten" innerhalb der "europäischen Parteienfamilien" sagte Cameron knapp: "Die Vorstellung, von europaweiten Parteien, die diesen Namen verdienen, ist unrealistisch." Seine Tories haben die Europäische Volkspartei, die konservative Parteienfamilie, in der auch CDU und CSU Mitglieder sind, verlassen.