Wismarer Werft sucht 100 Ingenieure. Programm für Spezialschiffe wird ausgebaut

Wismar. Günter Sens schiebt farbige Illustrationen über den Konferenztisch. Schiffe sind darauf zu sehen mit streng aero- und hydrodynamischen Formen, mit optimierten Rümpfen und Aufbauten für möglichst wenig Widerstand gegen Wind und Wasser. Es sind Schiffe, die es noch nicht gibt, für Märkte, die gerade erst entstehen.

Sens, 58, Co-Geschäftsführer von Nordic Yards in Wismar, zeigt ein Bohrschiff mit einer voll verkapselten Bohranlage, das bei der Erschließung von Öl- und Erdgasfeldern den extremen Witterungsbedingungen im Nordmeer trotzen soll. Zeigt einen Tanker für verflüssigtes Erdgas (LNG), der eisgängig und damit im hohen Norden einsetzbar wäre. Multifunktionale Versorgungsschiffe für die arktische Region sind dabei, am Schluss der Präsentation sogar der Entwurf für ein Kreuzfahrtschiff mit 750 Passagierplätzen.

Nordic Yards lebt. Die Doppelwerft in Wismar und Rostock-Warnemünde arbeitet sich zurück in den Markt, nach zwei Eignerwechseln, der Insolvenz im Jahr 2009 und vor dem Hintergrund einer immer noch schwelenden Branchenkrise im deutschen Schiffbau. "Wir wollen das Bild korrigieren, dass wirSerienschiffbauer sind", sagt Sens. "Hier wurden und werden immer auch Spezialschiffe gebaut. Der Meyer Werft wollen wir mit Kreuzfahrtschiffen allerdings keine neue Konkurrenz machen. Bei uns geht es um Einzelbauten im Segment für viel kleinere Schiffe."

Wie prekär die Lage für manches deutsche Schiffbauunternehmen nach wie vor ist, zeigt die Situation bei der zweiten Doppelwerft in Mecklenburg-Vorpommern, P+S, mit Standorten in Stralsund und Wolgast. Das Unternehmen muss mit staatlicher Hilfe und frischem privatwirtschaftlichen Kapital vor einem existenzbedrohenden Engpass bei der Baufinanzierung seiner Schiffe gerettet werden. Dabei geht es um bis zu 290 Millionen Euro. Die Landesregierung in Schwerin gab Ende vergangener Woche 4,7 Millionen Euro Soforthilfe frei, damit die Löhne bei P+S weiterhin gezahlt werden können. Insgesamt sind bei dem Schiffbauunternehmen 1750 Arbeitsplätze bedroht.

Für die insolvente Werft Sietas in Hamburg und zwei ihrer Tochterunternehmen wiederum sondiert der Insolvenzverwalter Berthold Brinkmann derzeit Kaufangebote. Auch Deutschlands älteste Werft will ihre Zukunft mit dem Bau von Spezialschiffen sichern, etwa Errichterschiffen für die Offshore-Windkraftindustrie. Im vergangenen November aber musste Sietas Insolvenz anmelden. In welcher Form es für die Werft und ihre - nicht insolventen - Tochterunternehmen Norderwerft und Neuenfelder Maschinenfabrik weitergehen wird, ist noch offen.

Den Menschen bei Nordic Yards ist der Blick in den Abgrund vertraut. 2009 meldete das Vorgängerunternehmen Wadan Yards Insolvenz an, weil Aufträge in der beginnenden Wirtschaftskrise weggebrochen waren und keine neuen hereinkamen. Die Mitarbeiter wechselten in Transfergesellschaften. Von einst mehr als 2200 Arbeitsplätzen in Wismar und Warnemünde bestehen derzeit noch rund 950. Dass der Untergang des Unternehmens abgewendet werden konnte, haben die Schiffbauer maßgeblich dem russischen Investor Witali Jussufow zu verdanken, der Wadan Yards im Sommer 2009 übernahm und es in Nordic Yards umbenannte.

Der Geschäftsmann und Sohn eines früheren russischen Energieministers trieb den Neuaufbau voran, vor allem mit Blick auf den russischen und den nordeuropäischen Markt, aber auch auf den großen Bedarf für Anlagen der Energiewirtschaft auf dem Meer. Jussufows Konzept ging bislang auf. Zwar konnte seine Mannschaft erst einen Auftrag für einen eisbrechenden Tanker aus Russland akquirieren und umsetzen. Das aber verschaffte Nordic Yards Zeit und Spielraum, um ins lukrativere Offshore-Geschäft einzusteigen. Die Belegschaften in Wismar und Warnemünde bauen an drei riesigen Umspannplattformen für Siemens, die künftig eingesetzt werden sollen, um den Strom aus Offshore-Windparks an Land zu bringen. Zwei davon sollen bereits im Sommer abgeliefert werden.

Geschäftsführer Sens, zuständig für die Entwicklungsarbeit des Unternehmens, kam im Oktober 2010 zu Nordic Yards, angeworben von Jussufow. "Ich war begeistert von seiner Vision, im zivilen Schiffbau etwas Neues aufzubauen", sagt Sens auf dem Dach des Verwaltungsgebäudes in Wismar mit Blick auf die riesige Haupthalle, die eines der größten überdachten Baudocks in Deutschland beherbergt. Zuvor hatteer unter anderem 15 Jahre lang imU-Boot-Bau bei der Kieler HDW-Werft gearbeitet. Spezialisten wie Sens sollen Nordic Yards mit maßgeschneiderten Angeboten für die Kunden voranbringen. "Wir sehen uns dabei weniger als klassischer Schiffbauer, sondern als Anbieter im maritimen Anlagenbau. Der Ingenieuranteil an unseren Produkten wird deutlich steigen. Deshalb suchen wir derzeit dringend 100 Ingenieure."

Vor allem für Offshore-Windparks gibt es einen schnell wachsenden Bedarf an Spezialgerät - von Umspannplattformen über Montageschiffe für Windturbinen auf See bis hin zu Wartungs- und Versorgungsfahrzeugen. Sens und sein Team wollen nicht nur auf den Markt reagieren, sondern die Entwicklung der Technologie dafür möglichst früh mitprägen. Gemeinsam mit seinem Co-Geschäftsführer Jürgen Wollny, 48, zeigt Sens das Modell eines Offshore-Errichterschiffs. Auch dieses Projekt ist bislang nur eine Studie: Die Windturbinen sollen, so das Konzept, bereits vormontiert vom Hafenkai aus stehend auf dem Schiff transportiert werden. Auf See hieven dann bordeigene Kräne die Anlagen auf die Fundamente. Die komplizierte Montage der Rotorblätter an die Maschinenhäuser, die bislang auf See vollzogen wird, entfiele mithilfe des "Heavy Installer" genannten Spezialschiffes.

"Das könnte die Errichtung von Offshore-Windparks technologisch und wirtschaftlich entscheidend verbessern", sagt Wollny. Er kam im Februar zu Nordic Yards, nach verschiedenen Stationen in der maritimen Wirtschaft und zuletzt bei den erneuerbaren Energien. "Ich habe mich beworben", sagt der Finanzmanager. "Hier kann ich meine Erfahrungen aus Schifffahrt, Schiffbau und erneuerbaren Energien ideal zusammenführen."

Viele Beobachter mochten Witali Jussufow anfangs nicht glauben, dass er es in Wismar und in Warnemünde ernst meint. Denn sein ebenfalls russischer Vorgänger Andrej Burlakow hatte an der Ostseeküste Großes versprochen und nichts gehalten. Nach der Insolvenz ging er zurück nach Russland und saß in Moskau später wegen Betrugsvorwürfen in Untersuchungshaft. Vermutlich ein Auftragskiller erschoss den dubiosen Investor 2011 in einem Restaurant der russischen Hauptstadt.

Jussufow hingegen zeigt Präsenz. Er engagiert sich im Branchenverband, baut die Strukturen bei Nordic Yards aus und ist regelmäßig vor Ort. Der Russe ließ eine Vertriebsabteilung aufbauen, die es vorher auf der Doppelwerft nicht gab, und eine Repräsentanz in Moskau mit derzeit 15 Mitarbeitern. "Alle zwei Wochen ist er in Mecklenburg-Vorpommern", sagt Sens, "bei Bedarf auch öfter. Er kümmert sich um das Unternehmen." Dann verabschiedet sich Sens. Er muss zur Videokonferenz mit seinem Chef. Jussufow ist da, wenn auch an diesem Tag nur in Bild und Ton. Selbst das aber ist viel mehr, als manch einer vor zweieinhalb Jahren in Wismar und Warnemünde erwartet hätte.