Berlin/München. Kinderschützer sind entsetzt, der Zoll winkt die umstrittene Ware durch: Deutsche Kunden können bei Amazon kindliche Sexpuppen kaufen.

Sie halten auf Fotos manchmal verträumt eine Rose in der Hand, sitzen verschämt in einer Ecke, schauen traurig aus großen Augen, und in der Beschreibung ist oft etwas von A-Cup zu lesen: Bei Amazon gibt es Kinder-Sexpuppen zu kaufen. Es ist noch nicht erforscht, ob sie Kinderschänder erst anspornen oder Pädophilen helfen, ihre Neigung im Griff zu behalten. Klar ist: Der Zoll in Deutschland lässt die Lieferungen aus Asien passieren, weil es keine gesetzliche Regelung dafür gibt.

Amazon ist sich offenbar annähernd bewusst, wie heikel solche Angebote sind. Nachdem das Portal Noizz.de zuerst darüber berichtet und Amazon Fragen gestellt hatte, wurden in der Noizz-Anfrage mitgelieferte Links zu fragwürdigen Angeboten gelöscht. Doch nur wenige Tage später ist mindestens eine der Puppen dort wieder zu haben. „Elena“ hat jetzt einen anderen Namen, dafür kostet sie mit 649 Euro etwas mehr als ihre verbannte Zwillingsschwester. Nach einem neuen Hinweis löschte Amazon auch dieses Angebot wieder.

Algorithmus empfiehlt neben Sexpuppen auch Babypuppen

Unsere Redaktion hat unter den Hunderten verschiedener Sex-Puppen etliche gefunden, die wenig an erwachsene Frauen erinnern. Und Amazons Algorithmus bringt noch mehr ans Licht: Unter einigen solcher Puppen tauchen auch Babypuppen mit offenem Mund unter „Kunden haben auch angesehen“ auf. Es ist wenig wahrscheinlich, dass hier ein Vater Ausschau nach Spielzeug für sein Kind gehalten hat. Hier geht es offenbar um pädophile Fantasien.

Zwar kann seit einer Verschärfung des Kinderpornografie-Paragrafen 184b auch etwa die Verbreitung von Comics und Mangas strafbar sein, wenn sexuelle Handlungen an fiktiven Kindern zu sehen sind. Die kindlichen Sex-Puppen dagegen sind nach Einschätzung von Experten in Deutschland legal. „Solche Puppen sind für sich betrachtet keine pornografische Darstellung und damit kein Tatgegenstand im Sinne des Gesetzes“, erläutert ein Sprecher der Generalzolldirektion. Heißt: Im Gesetz sind sie nicht erwähnt, deshalb fallen sie nicht darunter.

Verein: Amazon-Verkauft normalisiert Empörendes

Ganz unabhängig davon sei Amazon in der Pflicht, findet Julia von Weiler, Geschäftsführerin des Vereins „Innocence in Danger e.V.“ gegen sexuellen Missbrauch. „Wenn eine so große Plattform so etwas einfach verkauft, dann normalisiert es etwas, was in unserer Gesellschaft zu Recht Empörung hervorruft.“ Davon gehe das Signal aus, dass Mädchen zu Sexualobjekten gemacht werden könnten.

Weiler ist entsetzt, als unsere Redaktion ihr die Angebote zeigt. Unter anderem finden sich kindliche Puppen mit flacher Brust und gespreizten Beinen, Amazon erlaubt es, die Geschlechtsteile noch vergrößert anzusehen. Weiler will nicht ausschließen, dass hier möglicherweise Amazon sogar bei der Verbreitung von kinderpornografischem Material mitwirkt.

Bei Puppen „Beckenausprägung nicht kindlich“

Die kindlichen Sexpuppen werden nicht von Amazon selbst, sondern von Drittanbietern auf der Plattform verkauft. Bei den sogenannten Marketplace-Angeboten steht Amazon rechtlich erst in der Verantwortung, wenn das Unternehmen Kenntnis erlangt hat, erklärt die für Amazon zuständige Bayerische Landeszen­trale für neue Medien (LBM). Die LBM meldet Fälle per Mail an die Jugendschutzbeauftragte von Amazon Deutschland, dort werde jeweils von Fall zu Fall reagiert. Wolfgang Flieger, Bereichsleiter Kommunikation bei der LBM: „Nach unserer bisherigen Erfahrung reagiert Amazon Deutschland in der Regel schnell und die Inhalte werden kurzfristig entfernt.“

Puppen
Puppen © Screenshot/Amazon | Screenshot/Amazon

Doch die Frage, ob es sich tatsächlich auch für Experten um „kindlich wirkende Sexpuppen“ handelt, ist eine Einzelfallentscheidung, die schwierig ist. Experten von jugendschutz.net, dem gemeinsamen Kompetenzzentrum von Bund und Ländern für den Jugendschutz im Internet, sahen sich einige der Angebote an und kamen zum Schluss: Diese Puppen stellten wegen Feinheiten nicht einmal Verstöße gegen den Jugendschutz dar. Die Anbieter vermieden im Text jeden Hinweis aufs Alter. Bei Puppen mit kindlichen Gesichtern sei auch die „Beckenausprägung nicht kindlich“ und Körperöffnungen seien zu groß. „Schön ist das nicht, aber es fehlt die Eindeutigkeit“, so Andreas Link von jugendschutz.net.

Amazon gibt keine Antwort auf Fragen

Amazon erklärt dazu, Kunden könnten sich „jederzeit an den Kundenservice wenden, auch diesen Hinweisen wird selbstverständlich nachgegangen“. Auch auf Nachfrage lässt die Pressestelle aber manches unbeantwortet. Ja, bei einem „Verstoß gegen die Verkaufsbedingungen“ ergreife man „Maßnahmen, die unter Umständen die Schließung des Verkäufer-Kontos beinhalten können“. Keine Antwort darauf, ob schon je ein Händler rausgeworfen wurde. Keine Information, ob Amazon auch selbst prüft.

In den Nutzungsbedingungen für Händler findet sich noch ein offensichtlich veraltetes generelles Verbot, erotische Produkte zu verkaufen. In der Erotik-Kategorie liefert Amazon dann aber genaue Angaben, was angeboten werden darf und was nicht. „Sex-Spielzeug“ darf gehandelt werden „soweit gesetzlich zulässig“, „Kinder- und Jugendpornografie“ ist ausgenommen. In Großbritannien sind die Regeln strenger: Für Sex-Spielzeug muss eine Freigabe von Amazon eingeholt werden.

Käufer in Kanada vor Gericht

In Großbritannien gehen die Behörden auch anders mit den Puppen um. Auf der Insel hat der Zoll in gut einem Jahr 123 Puppen mit kindlicher Anmutung beschlagnahmt, wurde im Juli bekannt. Der Besitz ist legal, das Importieren nicht. Ein Sprecher erklärte dem „Guardian“, viele der Empfänger hätten auch andere Straftaten gegen Kinder begangen, seien der Polizei aber bis dahin nicht bekannt gewesen.

In Kanada läuft der mutmaßlich erste Kinder-Sexpuppen-Prozess gegen einen Mann, der sie 2013 gekauft hatte. Bis zum nächsten Termin im Oktober muss das Gericht über den Ausschluss der Öffentlichkeit entscheiden, wenn die Puppe im Gerichtssaal in Augenschein genommen wird. Die Anklage fordert das einer kanadischen Zeitung zufolge: Wenn die Puppe unter Kinderpornografie falle, dann mache sich das Gericht der Verbreitung schuldig. In Kanada hat der Fall eine Debatte ausgelöst, ob das Strafrecht zu weit geht.

In Großbritannien und Kanada diskutieren Fachleute auch, ob solche Angebote Menschen mit pädophilen Neigungen noch anspornen oder ob sie verhindern, dass Kinder Opfer werden. Im Prozess hat ein Experte ausgesagt, dass der Gebrauch einer kindlichen Sexpuppe nicht zwingend auf Pädophilie schließen lässt.

Britische Organisation für Kinder-Sexpuppen auf Rezept

Beim bundesweiten Präventionsnetzwerk „Kein Täter werden“, das deutschlandweit Beratungsstellen für Menschen mit derartigen Neigungen anbietet, will man zu den Wirkungen der Puppen keine Aussage abgeben: Seriös sei das nicht möglich – es gibt noch zu wenig Forschung, so ein Sprecher.

In Großbritannien gibt es dagegen bereits den Vorschlag, Kinder-Sexpuppen quasi auf Rezept auszugeben. Juliet Grayson, Leiterin der dortigen Präventionsstelle StopSO, hat sich für die Ausgabe unter kontrollierten Bedingungen ausgesprochen. Sie wisse aus ihrer Beratungspraxis von einem Mann, der glücklich sei, seine Fantasien mit einer Puppe auszuleben, weil er sich so nicht Kindern vergehe. Eine Kinderpuppe könne für einen Pädophilen wie Methoden für einen Heroinsüchtigen sein, zitierte sie der britische „Independent“.

Eine englische Kinderschutzorganisation stellte das in Frage. Die Benutzung solcher Puppen könne auch die Hemmschwelle sinken lassen, sich dann an Kindern zu vergreifen. Manchem Käufer scheinen solche Bedenken nicht bewusst oder egal zu sein: Mit einem Porträtfoto von sich und Angabe zum Wohnort in Süddeutschland beurteilte ein Mann eine der kindlichen Puppen, sie sehe „ganz nett aus“. Obwohl er aber pfleglich mit ihr umgehe, kämen überall Nägel und Klammern heraus. Deshalb sei sie „echt eine Enttäuschung“.