Berlin. Methadon ist als Substitutionsmittel für Drogenabhänge bekannt. Nun gibt es Erfolge beim Einsatz des Opioids bei Krebsbehandlungen.

„Überlege dir gut, ob Du Dir eine Chemotherapie überhaupt noch einmal antun möchtest oder ob Du Dir nicht lieber einfach ein paar schöne Wochen machst.“ Ihre Tante, eine Radiologin, zeigt Andrea Manhillen unter Tränen die Ergebnisse des MRT: zwei Knochenmetastasen, unzählige in der Leber. Die Prognose ist verheerend.

Los ging alles im Herbst 2014: Diagnose Brustkrebs. Ein Schock für die Rutesheimerin. Es folgten 16 Chemos, eine brusterhaltende OP und noch mal 28 Bestrahlungen. Im Juni 2015 schien der Krebs besiegt. „Nur ein paar Monate später hat sich dann herausgestellt, dass er gestreut hatte.“

Andrea Manhillen entschied sich, nicht aufzugeben. Begann eine weitere, eine doppelte Chemotherapie mit Tabletten und Infusionen. Ihre Hoffnung schwand von Tag zu Tag. Dann bekniete sie eine Bekannte, ergänzend Methadon zu nehmen. Diese hatte von der Forschungsarbeit der Ulmer Chemikerin Dr. Claudia Friesen gehört. Friesens These lautet stark vereinfacht: Methadon kann die Wirkung einer Chemotherapie verstärken und helfen, Krebszellen zu zerstören.

Chemikerin bekommt bis zu 1000 Mails am Tag

„Ich hatte nichts zu verlieren, also habe ich es einfach probiert“, so Manhillen. Das war vor eineinhalb Jahren. Heute lebt sie fast tumorfrei. „Zum Glück habe ich es versucht.“ Friesen sieht ihre Arbeit durch solche Fälle bestätigt. In Laborstudien hatte die Chemikerin vor rund zehn Jahren durch Zufall Hinweise gefunden, dass Methadon Leukämie-Zellen zerstört. „Ich dachte erst, dass sei ein Fehler und habe das dann mehrere Male wiederholt, kam aber immer zum gleichen Schluss.“

Die Forschung ging weiter, erst mit isolierten Krebszellen, dann in patienten-abgeleiteten Tiermodellen. Dabei stellte Friesen fest, dass Methadon allein nicht alle Zellen zerstörte, jedoch als Wirkverstärker fungierte. Mit dieser Erkenntnis ging sie an die Öffentlichkeit. Ein regelrechter Hype ist um das Thema entstand. Im Netz und Medien wird heiß diskutiert. Täglich bekommt Friesen 200 bis 1000 Mails von Krebspatienten, die sich bei ihr Rat und Hilfe erhoffen. Diese vermittelt die Wissenschaftlerin an Kliniken und Ärzte, die Methadon in der Schmerztherapie nutzen. 80 Fälle, in denen Methadon den Betroffenen geholfen hat, hat Sie bereits dokumentiert.

Mediziner erschrocken über unkritische Forderung

Insgesamt sind Mediziner jedoch eher skeptisch, was den Einsatz des Opioids bei Krebspatienten angeht. Onkologen und führende Fachgesellschaften wie die Deutsche Gesellschaft für Hämatologie und Medizinische Onkologie (DGHO) und die Deutsche Schmerzgesellschaft warnen vor falschen Hoffnungen. So auch Prof. Dr. Wolfgang Wick von der Uniklinik Heidelberg und Sprecher der Neuroonkologischen Arbeitsgemeinschaft (NOA). Dass der Einsatz des Medikaments – frei von medizinischer Evidenz – aktuell so unkritisch gefordert werde, das erschrecke ihn. Es sei zwar richtig, dass Methadon in der geringen Dosierung, wie sie genutzt werde, nur wenige Nebenwirkungen habe, doch das sei kein Argument, es zu verschreiben. „Zudem gibt es immer wieder Patienten, die davon abhängig werden.“

Tierversuche sollen nicht im Ansatz den Kriterien entsprechen

Der Neurologe sieht nicht, dass die bisherige Forschung zum Thema aus wissenschaftlicher Sicht eine generelle Wirkung von Methadon auf Krebszellen nahe legt. „Dem würde ich sogar widersprechen“, betont Wick. „Hier beginnt das Problem. Das ist der Grund, warum wir uns so klar positionieren.“ Die Tierversuche beispielsweise entsprächen nicht im Ansatz den Kriterien, die man ansetzen würde, um tatsächlich eine Wirkung nachzuweisen.

Das einzige, was man anhand der aktuellen Datenlage sagen könne: „Es gibt ein paar Zellen, bei denen das Medikament Methadon den Effekt eines anderen Medikaments – Doxorubicin, ein Arzneistoff in der Chemotherapie, der aber wenig relevant ist – verstärkt“, sagt Wick. „Was das mit Krebstherapie zu tun hat, das müsste man mir erst erklären. Das erschließt sich für mich auf den ersten Blick überhaupt nicht.“

Um es gezielt einzusetzen, bräuchte es klinische Studien

Um eine positive Wirkung Methadons für Krebspatienten wirklich nachzuweisen und das Opioid letztlich gezielt neben der Schmerz- und Drogenersatztherapie auch als Medikament gegen Tumore einzusetzen, bräuchte es klinische Studien. Das sieht auch Friesen so. Sie selbst kann diese als Chemikerin nicht beantragen.

So wie es aktuell ausschaut, könnte es in einigen Jahren aber tatsächlich etwas mehr Klarheit zur Wirkung von Methadon auf Krebszellen geben. Wolfgang Wick und sein Team planen eine klinische Studie mit Hirntumor-Patienten, in der eine Verstärkung der Chemotherapie durch Kombination mit Medikamenten geprüft wird, die eigentlich für andere Krankheiten zugelassen sind. Mit dabei: Methadon.

Deutsche Krebshilfe prüft Studienantrag

Die Studienidee existiert schon lange. Vergangenes Jahr entschied man sich, Methadon hinzuzunehmen. Der Grund: „Aktuell wird Methadon so stark ‚off label‘ genutzt, also außerhalb der Zulassung, dass wir glauben, dass in einer solchen Situation Patienten am meisten gedient ist mit kontrollierten Daten.“ Wicks Forschungsantrag wird aktuell von der Deutschen Krebshilfe geprüft. Die Chancen, dass er angenommen wird, stehen gut. Sollte es tatsächlich klappen, rechnet der Mediziner in ungefähr vier Jahren mit Ergebnissen. Relevante klinische Ergebnisse bezüglich Methadon erwartet er im Moment nicht.

„Wenn sie mich als hoffnungsvollen Menschen fragen“, so Wick, „sage ich, es ist natürlich nicht ausgeschlossen, dass Methadon bei einzelnen Patienten hilft – sei es in puncto Wohlempfinden, aber vielleicht sogar was die Tumorerkrankung betrifft.“ Er kenne die Fälle, in denen sich Metastasen zurückbilden, sobald die Erkrankten Methadon einnehmen. Er kenne auch die erstaunlichen Vorher-Nachher-Bilder von Andrea Manhillens Leber. „Es ist aber nicht ausgeschlossen – denn das sehen wir auch immer wieder – dass es spontane Verbesserungen gibt oder parallele Therapien wirksam waren“, so Wick. „Das nennt man Placebo-Effekt. Und das ist auch bei Krebserkrankungen bekannt.“

Placebo-Effekt, medizinische Wirkung oder Wunder

Sowohl Wick als auch Friesen hoffen, dass sich die Spannung rund um das Thema Methadon in der Krebstherapie durch die neue Studie nun zum Wohle der Patienten endlich legt. Friesen selbst wird dabei nicht direkt beteiligt sein, jedoch beraten und unterstützen. „Ich bin froh, dass mir hier ein Kritiker die Hand reicht“, so Friesen. Sie hofft, dass die Zweifel an Ihrer Forschung damit bald ausgeräumt sein werden.

Ob Placebo-Effekt, medizinische Wirkung oder Wunder, das ist Krebspatientin Andrea Manhillen egal. Sie ist davon überzeugt, dass das Methadon ihr das Leben gerettet hat. „Ich glaube nicht, dass die Chemo alleine das so bewirkt hätte. Entgegen aller Prognosen fühle ich mich heute kerngesund.“