Essen. In Deutschland leiden mehr als acht Millionen Menschen unter Migräne: Das steckt hinter der weit verbreiteten schmerzhaften Erkrankung.

Sie hinterlässt keine Spuren im Blutbild, zeigt sich nicht im MRT oder EEG: die Migräne. Von der Weltgesundheitsorganisation WHO wird sie als eine der zehn meist behindernden Erkrankungen eingestuft. In Deutschland sind etwa acht Millionen Menschen betroffen – Frauen häufiger als Männer, und seit einigen Jahren auch immer mehr Kinder.

Obwohl die Krankheit so weit verbreitet ist, kennen sich viele Patienten kaum damit aus, manche wissen noch nicht einmal, dass ihr vermeintlicher Spannungskopfschmerz eine Migräne ist, bis sie von einem Arzt die Diagnose erhalten. „Oft wird angenommen, dass nur ein extrem starker Kopfschmerz als Migräne bezeichnet wird“, sagt Dr. Kasja Solbach, Ärztliche Leiterin des Westdeutschen Kopfschmerzzentrums am Uniklinikum Essen. Dabei kann die Erkrankung unterschiedlich stark ausgeprägt sein und entweder in einer episodischen (maximal 14 Tage pro Monat) oder einer chronischen Form (mehr als 14 Tage pro Monat) auftreten; außerdem hat nicht jeder Patient auch jedes Migränesymptom.

Symptome

Da wären zunächst einmal die pulsierenden Kopfschmerzen von mittlerer bis starker Intensität. Sie treten eher ein- als beidseitig auf oder wandeln sich im Verlauf der Migräneattacke von beid- zu einseitigen oder von ein- zu beidseitigen Schmerzen. Körperliche Bewegung verschlimmert die akuten Beschwerden.

„Treffen zwei dieser Aspekte auf die Schmerzen des Patienten zu, kann man von einer Migräne ausgehen“, sagt Kasja Solbach. Häufige Begleitsymptome sind Licht- und Geräuschempfindlichkeit sowie starke Übelkeit, die bis zum Erbrechen führen kann und durch eine erhöhte Sensibilität für Gerüche oft noch verschlimmert wird. Eine Migräneattacke kann nach vier Stunden wieder vorbei sein – aber auch bis zu drei Tage lang anhalten, sofern sie unbehandelt bleibt. In Einzelfällen sind sogar noch längere Attacken möglich, Ärzte sprechen dann von einem „Status migraenosus“.

Bei etwa zehn bis 15 Prozent der Patienten kündigen visuelle Wahrnehmungsstörungen, die unter dem Begriff „Aura“ zusammengefasst werden, eine Migräneattacke an. Die Symptome reichen von einem Flimmern vor den Augen über weiße Flecken, bis hin zu einseitigem oder mittigem Ausfall des Sehfeldes. Einige Betroffene leiden zudem unter Wortfindungsstörungen sowie Taubheitsgefühlen und Kribbeln in den Armen, im Mund und auf der Zunge. „Diese Symptome stehen entweder vor der Migräneattacke oder treten isoliert ohne spätere Kopfschmerzen auf und dauern in den meisten Fällen etwa 15 bis 30 Minuten an“, sagt Kasja Solbach. Vor und nach der Attacke können sich außerdem Heißhunger, Reizbarkeit, Euphorie und hohe Aktivität oder aber Müdigkeit und Abgeschlagenheit bemerkbar machen.

Was dahinter steckt

Das Hirngewebe selbst ist schmerzunempfindlich: Woher kommt also dieser Kopfschmerz, der Migränepatienten so quält? Bereits im 17. Jahrhundert mutmaßte der Arzt Thomas Willis, dass Durchblutungsveränderungen im Gehirn den Migräneschmerz auslösen könnten. Heute geht man davon aus, dass die Durchblutungsveränderung eher eine Begleiterscheinung ist, da sich nur bei einer Migräne mit Aura tatsächlich eine zeitweise Minderdurchblutung im Gehirn nachweisen lässt. 1873 vermutete der Arzt Edward Liveing eine besondere Nervenaktivität als Ursache des Schmerzes. Heute geht man von folgendem Ablauf aus: Durch ein Signal des Hirnstammes kommt es zur verstärkten Ausschüttung des Entzündungsbotenstoffes CGRP. Dadurch steigt der Blutfluss in den Blutgefäßen der Hirnhäute – mit der Folge, dass eine Überempfindlichkeit entsteht. Diese sogenannte „neurogene Entzündung“ erklärt zwar, warum Migränepatienten eine alltägliche Bewegung wie etwa das Kämmen plötzlich als unangenehm empfinden und ihre Schmerzen bei jedem Pulsschlag zunehmen. Dennoch ist unklar, wodurch diese Reaktion in Gang gesetzt wird.

Erwiesen ist, dass eine genetische Disposition die Empfindlichkeit gegenüber äußeren Reizen wie Stress oder Schlafmangel erhöhen kann. Fast alle Patienten hätten Familienangehörige, die ebenfalls unter Migräne leiden, so Kasja Solbach. „Die Krankheit wurde ihnen sozusagen in die Wiege gelegt.“ Verantwortlich dafür ist eine Vielzahl von Genen – ein spezielles „Migräne-Gen“ gibt es nicht.

Prävention und Behandlung

Wer unter Migräne leidet, sollte zunächst versuchen, bekannte Triggerfaktoren zu vermeiden, indem er auf einen regelmäßigen Tagesablauf mit genug Pausen achtet, ausreichend schläft, isst und trinkt. Zudem können Entspannungstechniken und regelmäßiger moderater Ausdauersport hilfreich sein.

Bei einer akuten Migräneattacke können herkömmliche Schmerzpräparate oder aber spezielle Migränemedikamente, die sogenannten „Triptane“, zum Einsatz kommen. „Obwohl diese im Allgemeinen recht gut verträglich sind und es auch frei verkäufliche Mittel gibt, sollte man vor der ersten Einnahme mit seinem Arzt sprechen“, sagt Kasja Solbach. Zu oft darf man nicht auf Schmerzmittel zurückgreifen, denn ihre Wirkung kann sich bei regelmäßiger Einnahme, etwa an mehr als zehn Tagen pro Monat, ins Gegenteil umschlagen: Statt Schmerzen zu lindern, lösen die Präparate dann selbst Schmerzen aus.

Im Rahmen einer vorbeugenden Behandlung eignen sich Betablocker oder bestimmte Medikamente gegen Depressionen und Epilepsie, die auch in der Schmerztherapie gut wirksam sind.

Seit 2011 für die standardisierte Behandlung chronischer Migräne zugelassen ist Botox: „Es ist nicht besser wirksam als andere Medikamente, stellt aber eine mögliche Alternative dar, wenn anderes bereits ausprobiert wurde und nicht gut geholfen hat“, so Kasja Solbach.

Sowohl präventiv als auch akut wirken sollen Geräte zur Nervenstimulation: Das „Vitos“ wird wie ein In-Ear-Kopfhörer ins Ohr gesetzt, das „Cefaly“ wird auf der Stirn platziert, das „GammaCore“ führt der Patient manuell über den Vagusnerv im Halsbereich.

Für vielversprechend halten Experten eine neue Therapie, bei der Antikörper gegen den Botenstoff CGRP eingesetzt werden. Das Verfahren wird derzeit in klinischen Studien getestet, mit einer Zulassung ist laut Kasja Solbach allerdings frühestens in zwei Jahren zu rechnen.