Berlin. Die Moderatorin Dunja Hayali wurde in Hassmails beschimpft. Im Buch „Haymatland“ schreibt sie, warum sie Deutschland dennoch liebt.

Es gibt Begegnungen, die gehen einem nicht mehr aus dem Kopf. Ein eben noch Unbekannter sitzt auf dem Nebenplatz in der U-Bahn, überholt auf dem Fahrrad oder kurbelt eine Scheibe am Auto herunter und beginnt zu reden. Diese Zufallsbegegnungen hat Dunja Hayali (44) in ihrem Buch „Haymatland“ oft beschrieben, weil sie eben Auslöser sein konnten dafür, dass sie sich ihren Heimatbegriff für Deutschland Stück für Stück neu denken muss.

Da ist zum Beispiel dieser Typ, der plötzlich mitten am Tag auf der Straße sein Fahrrad stoppt und auf Dunja Hayali einbrüllt: „Lügenpresse, Lügenfresse!“ Das habe etwas mit ihr gemacht. „Kritik an den Medien oder an mir ist doch prima“, sagt sie, „aber Hass und Bedrohungen sind halt keine.

Schlimm ist, dass das alles mittlerweile mit einer irrsinnigen Selbstverständlichkeit passiert.“ Auch die Qualität und die Häufigkeit, mit der sich Menschen inzwischen herausnehmen, sie und andere zu bedrängen und gar zu bedrohen, das hat schon dazu geführt, dass sie sich fragt, wie wohl sie sich noch in ihrer Heimat Deutschland fühlt.

Hayali hat gute Erfahrungen mit offenen Fragerunden gemacht

Die Moderatorin des „ZDF-Morgenmagazins“ hat ihre eigene Talkshow und sich häufig zu Wort gemeldet zu Themen wie Hass im Netz. Es begann, als sie vor zwei Jahren die Goldene Kamera in der Kategorie „Information“ erhielt. Sie nutzte ihre Dankesrede für eine Rede über den Hass, der ihr entgegenschlage. „Wer sich aber rassistisch äußert, ist verdammt noch mal ein Rassist“, sagte sie. Und der Saal klatschte stehend.

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    Das gab ihr Mut,und sie engagierte sich weiter. „Es ist für mich sinnstiftend, daher mach ich das regelmäßig“, sagt sie, „dass ich bei Vorträgen erkläre, wie meine Arbeit funktioniert.“ Wie werden Interviewgäste ausgesucht, wie Themen? Wem stellt man welche Fragen? „Ich erkläre den Unterschied zwischen Fake News und Fehlern. Fehler passieren, und denen gehen wir nach und machen sie transparent.“

    So geht sie zum Beispiel auch offensiv mit dem Vorwurf um, sie habe sich von der Automatenindus­trie für eine Moderationsveranstaltung einbinden lassen. Das Honorar wurde gespendet. Sie habe keine Werbeveranstaltung, sondern einen kritischen Dialog moderiert. Insgesamt aber hat Hayali gute Erfahrungen gemacht mit offenen Fragerunden. „Wir Medien haben an Glaubwürdigkeit eingebüßt. Das kann man zurückbekommen, wenn man den Dialog sucht und erklärt.“ Mit dem Buch will sie genau das. Deshalb erzählt sie, woher sie stammt, was ihre „Haymat“ ist.

    Mutter half bei der Buchhaltung und zog drei Kinder groß

    Hayalis Eltern stammen aus Mossul, jener Stadt im Irak, die vor einem Jahr vom IS befreit wurde. Ihre Eltern lebten dort als christliche Minderheit im muslimischen Land, was immer mit Gefahren verbunden war. Als sich die politische Situation änderte, beschlossen die Eltern, in Europa zu bleiben. Der Vater, Arzt, eröffnete eine Praxis in Datteln.

    Die Mutter arbeitete bei der Post und zog drei Kinder groß. Das Buch sollte deshalb auch eine Verbeugung vor deren Lebensleistung sein. „Auf meine Eltern bin ich wirklich stolz.“ Sie hätten dafür gesorgt, dass sie ihren Weg gehen könne und dass sich Dunja Hayali „durch und durch deutsch“ fühle, „bis auf meine Unpünktlichkeit“. „Anhand der eigenen Familie zeige ich, wie Integration, wie das Zusammenleben gelingen kann.“

    Sie nähert sich dem Begriff Heimat vor allem emotional. „Gemütlich und kuschelig“ stellt sie sich die Heimat vor. „Sie bedeutet Zusammenhalt und Zusammengehörigkeit, Gemeinschaft, Solidarität. Nachbarschaft und Freundschaft.“ Eine Definition lautet, dass es der Ort sei, „wo wenig Unerwartetes passiert, und man nicht ständig aufpassen muss“. Schließlich sei man ja „erwünscht“. Doch trifft das noch auf Deutschland zu?

    Mit Gesprächen gegen die Vorurteile

    „Chemnitz war für mich eine Zäsur“, sagt sie. „Das Buch lag schon beim Verlag, aber ich wollte ein paar Sätze ergänzen.“ Wenn einem Vergewaltigungswünsche ins Gesicht geschrien werden, dann mache das was mit einem. Wie andere Journalisten auch habe sie dort während des Trauermarsches mit Personenschützern arbeiten müssen. „Eine normale Berichterstattung war nicht möglich. Es bildeten sich immer Trauben um uns herum, die uns mit ,Lügenpresse‘ anbrüllten.“ Sie habe sich die Vorwürfe angehört und auch dort versucht, den Dialog zu suchen. Manchmal mit Erfolg.

    Am Ende des Buches zeichnet sie ein hoffnungsvolles Bild, wieder über eine Zufallsbegegnung. Dieses Mal ist es eine fremde Frau auf der Parkbank in Berlin. Hayali setzt sich auf die Bank, streichelt ihren Hund. Die Frau sagt: „Sie sind gern hier, oder?“ Wenn das schon andere merken, dann muss etwas dran sein.