Berlin. Autor Hajo Schumacher beschäftigt sich mit traditionellen Männlichkeitsidealen. Seine Erkenntnisse schildert er in einem neuen Buch.

An die ungewohnte Zugluft von unten musste er sich dann erst gewöhnen, aber sie sollte glücklicherweise Hajo Schumachers (54) unwichtigste Erkenntnis über das Gefühl, ein Sommerkleid zu tragen, bleiben.

In einem Paar-Workshop mit anderen zusammen hatten sich der Journalist und Autor und seine Frau auf das Experiment eingelassen, die Rollen zu tauschen. Er trug also das Sommerkleid, sie eine Hose, ein Karohemd und Stiefel.

Im Nachhinein hat Schumacher durch das Kleid-Tragen etwas kapiert, erzählt er. „Ich empfand mich als selbstbewusster, aber auch verletzlicher.“ Dann sollte er im Sommerkleid an anderen männlichen Teilnehmern vorbeilaufen, die ihn mit Blicken und Sprüchen penetrieren sollten.

Für Schumacher wurde es ein unangenehmes Erlebnis. Wie stark Frauen in vielen Situationen sein müssten, um sich zu schützen, wie furchtbar diese Fleischbeschau ist, welches verletzliche Arrangement doch die weibliche Sexualität sein kann, wurde ihm bewusst.

Traditionelle Männlichkeitsideale lösen sich auf

Für mehr Respekt, mehr Kommunikation zwischen Mann und Frau plädiert Hajo Schumacher in seinem neuen Buch „Männerspagat“ (Eichborn). Seine Reise zum besseren Ich als Mann und Familienvater führt über besagten Paar-Workshop zum Tantra-Seminar über das, was er als kleiner Junge vermittelt bekam und seine Söhne von ihm lernen sollten. Der ganz große Spagat also.

Und tatsächlich ist das Thema natürlich in der #MeToo-Ära, in der traditionelle Männlichkeitsideale sich auflösen, mehr als aktuell. Männliche Schriftsteller – wie einige schon vor Schumacher – hadern mit ihrem Selbstverständnis als Mann, die allgemeine Verunsicherung ist groß.

Bis heute habe Schumacher einen „Ernährerfimmel“

Das kann auch Christoph May (39), Gründer des Instituts für kritische Männerforschung, bestätigen. „Man stößt in der Gesellschaft auf wenige große Tabus, doch die Selbstwahrnehmung von Männern und ihre Fähigkeit zur Eigenkritik ist so eines.“ Noch herrsche, laut May, zu viel Abwehr und zu wenig Selbstreflexion über männliche Privilegien. Jedenfalls oder deshalb ist Hajo Schumacher bemüht, diese mit seinem Buch zu durchbrechen.

„Ich bin in einer Eisenbahnsiedlung in Münster aufgewachsen, da galt es als geradezu ehrenrührig, wenn ein Mann seine Frau arbeiten schickte“, erzählt er. „Es hieß damals: Dieser Mann schafft das nicht allein, ein Versager.“ Bis heute habe er das davongetragen, was er als „Ernährerfimmel“ bezeichnet. Anerzogene Ideale wie ein großes Auto zu besitzen oder jedes Jahr eine neue Konsum- und Gehaltsstufe erklimmen zu müssen hätten ihn über Jahre geprägt.

Beim „Spiegel“ fasste kein Mann eine Tastatur an

Selbstkritisch erzählt Hajo Schumacher, dass seine Frau und er in jungen Jahren wiederum in dieses klassische Rollenmodell reinrutschten. „Sie hat sich um unsere Söhne gekümmert, ich war Journalist und bin arbeiten gegangen“, sagt der ehemalige „Max“-Chefredakteur und Autor mehrerer Sachbücher. Erst als er sich selbstständig machte, daher mit seinen Söhnen zu Hause blieb und sich an den Aufgaben seiner Frau beteiligte, habe er verstanden, „was diese unsichtbare Arbeit eben bedeutet“.

Zuvor hatte er im Beruf das Gegenteil von Gleichberechtigung erlebt. Im deutschen Journalismus herrschten damals, laut Schumacher, „noch sehr patriarchische Verhältnisse“. „Beim ,Spiegel‘ hieß es noch vor 20 Jahren: Ein Mann fasst keine Tastatur an, dafür gibt es Sekretärinnen“, erinnert der ehemalige „Spiegel“-Redakteur sich. Er kokettierte damals damit, die Kolleginnen mit „Miss Moneypenny“ anzusprechen wie James Bond, um dieses Rollenverständnis zu ironisieren, wie er sagt. „War natürlich Quatsch“, resümiert er heute.

Von Tantra über das Reden führt der Weg zur Einsicht

Vor allem aber habe er gelernt, mit seiner Frau zu sprechen. Ganz viel. Ganz oft. „Männer reden generell nicht so gerne. Sie haben meist gelernt, ihre Gefühle einzukapseln.“ Dass er allerdings nächste Woche silberne Hochzeit feiere, habe viel damit zu tun, intensiv miteinander zu sprechen über Erwartungen, Pläne, Wünsche, Ängste.

Tatsächlich tröstet die Tatsache, dass Hajo Schumacher und seine Frau es geschafft haben, über 25 Jahre zusammenzuhalten, darüber hinweg, dass in seinem Buch die aktuellen feministischen Debatten wie die #MeToo-Bewegung nur am Rande Platz finden.

Dennoch ist es ein würdevoller Ansatz, das Umdenken anzuregen, Männern und vor allem Vätern zu raten, mehr Zeit mit ihrer Familie zu verbringen, und vor allem: ihrer Frau zuzuhören. So möchte Hajo Schumacher zum Jahreswechsel „mit der ganzen Familie in ein südliches Land fahren und einfach Zeit miteinander verbringen“. Gut so. Weiter so.