Berlin. Margot Käßmann hatte schon immer eine große Fangemeinde, gerade weil sie auch Unangenehmes anspricht. Am Sonntag wird sie 60 Jahre alt.

Margot Käßmann ist abgetaucht. „Nicht mehr zu sprechen“, heißt es aus ihrem Büro. Erst wieder Ende Juni. Wo sie denn sei? Im Urlaub, in Deutschland, in Hannover oder Berlin? Das möchte niemand beantworten.

In der Presseabteilung der Evangelischen Kirche verweist man auf ihren Biografen und langjährigen Medienberater, Uwe Birnstein. Danach gefragt, wie man die ehemalige Bischöfin von Hannover und Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche jetzt noch, also ein paar Tage von ihrem 60. Geburtstag, erreichen könne, muss er schmunzeln. „Ich kann Ihnen wirklich nichts dazu sagen. Nur vielleicht, sie wird ihren Geburtstag am 3. Juni sicher feiern.“

Margot Käßmann wird 60 Jahre alt. Und man denkt: Jetzt erst? Denn Käßmann ist eine der wenigen Frauen in Deutschland, die sehr viel erreicht haben und die, egal ob in Kirchenamt oder als Autorin, immer präsent sind und eine große Fangemeinde haben. Auch wenn es tatsächlich in den vergangenen Jahren etwas ruhiger um sie geworden ist.

Käßmann schonte auch Politiker nicht

In ihrer kurzen Zeit als Vorsitzende der EKD war sie eine Größe mit Einfluss in Deutschland, wie sie die EKD vorher und nach ihrem Rücktritt nicht mehr hatte. In ihrer Predigt am 1. Januar 2010 im voll besetzten Berliner Dom wusch sie Deutschland ordentlich den Kopf. Die Politiker verärgerte sie mit dem Satz: „Nichts ist gut in Afghanistan“ und meinte damit den Auslandseinsatz deutscher Soldaten. Denn niemand könne darüber hinwegtäuschen, dass Soldaten eben nun mal Waffen benutzen und auch Zivilisten getötet werden.

Aber Käßmann hatte noch mehr in petto. Sie sprach die Kinderarmut an und auch den Suizid des Torwarts Robert Enke im Herbst 2009: „Nichts ist gut, Erschrecken ist angesagt, wenn ein Spitzensportler Angst hat, seine Depression offiziell behandeln zu lassen.“ Die oberste Protestantin hatte offensichtlich keine Angst, Unangenehmes auszusprechen.

Und dafür wurde sie nach ihrem größten Fehler nur noch mehr gefeiert. Denn im Februar 2010 wurde sie ziemlich alkoholisiert mit 1,54 Promille am Steuer ihres Wagens von der Polizei gestoppt. Sie hatte eine rote Ampel überfahren. Nur wenige Tage nach Publikwerden ihrer Missetat tritt sie nach nur viermonatiger Amtszeit zurück.

Ihr Rücktritt zeugte von Mut und Unerschrockenheit

Sie tut das in Anwesenheit und mit der Unterstützung ihrer vier erwachsenen Töchter. Alles, was sie in ihrer Erklärung zum Rücktritt sagt, zeugt von Unerschrockenheit und dem Mut, zu seinen Fehlern zu stehen.

Kritiker macht sie gleich mit zwei Sätzen sprachlos: „Folge dem, was dein Herz dir rät“, sagt sie und „Du kannst nie tiefer fallen als in Gottes Hand“. Später empfinden viele Menschen ihre Worte als besonders tröstlich. Und hoffen auf eine Rückkehr ins Amt oder etwas Ähnliches.

Dies lehnte sie gerade erst vor zwei Jahren ab. Da brachte sie die SPD-Spitze als Kandidatin für das Bundespräsidialamt ins Gespräch. Margot Käßmann soll „dankend“ abgelehnt haben. Obwohl Grüne und Linke mit ihr als Kandidatin mitgegangen wären.

Margot Käßmann ist eine sichtbare Frau. Auch als sie 2006 öffentlich über ihre Brustkrebserkrankung spricht. Viele Frauen finden sich in ihr wieder. Als sie später in einem Interview mit der „Bunten“ erzählt, dass gerade der Krebs das Ende ihrer Ehe mit sich brachte, hat das etwas Schonungsloses: „Ich glaube, mein Mann konnte auch mit meinem Brustkrebs nicht umgehen – er kannte mich immer nur als starke Frau. Das hat ihn wohl irritiert.“ 26 Jahre hielt die Ehe. Einen neuen Partner soll Käßmann nicht haben.

Käßmann will vorzeitig in den Ruhestand

Der Theologe und Journalist Uwe Birnstein, der nach ihrem Rücktritt ihr Medienberater wird, lobt an ihr: „Sie ist wahrhaftig, und das schätzen die Menschen.“ Zuletzt war sie von 2012 an für die EKD Botschafterin für das 500. Reformationsjubiläum, das 2017 groß gefeiert wurde. Sie kehrte also zur EKD zurück, aber in bescheidenerer Rolle. Am 31. Oktober war sie noch einmal groß zu sehen beim Festgottesdienst der Reformationsfeier, der live im Fernsehen übertragen wurde.

Nachdem die Kameras aus waren, legte sie den Talar ab, zog ihren roten Mantel an und radelte mit Birnstein durch Wittenberg. In seiner aktuellen Biografie über Käßmann, die ausgerechnet „Folge dem, was dein Herz rät“ heißt, beschreibt er diesen Moment. „Fröhlich winkt sie mal hier, mal dort. Während des Reformationssommers hat sie in dieser Stadt viele Menschen kennengelernt. Irgendwie traurig, dass er jetzt vorbei ist.“

Einerseits. Andererseits hat Margot Käßmann angekündigt, mit 60 in den vorzeitigen Ruhestand zu treten. Dienstrechtlich ist das mit der Kürzung der Pensionsbezüge möglich. Ende Juni soll sie feierlich verabschiedet werden. Bis dahin ist sie erst mal weg.

Ist das jetzt erstmals eine Flucht? Im Buch antwortet Käßmann, dass sie sich jetzt auf einen anderen Lebensabschnitt freue. „Mehr Ruhe, mehr Zeit mit Kindern und Enkeln und für mehr Spaziergänge auf Usedom“ möchte sie haben. In Usedom hat sie sich ein Haus mit viel Platz gekauft. Auf dem hiesigen Friedhof möchte sie auch begraben werden, das wisse sie schon. Während die meisten den Tod in der Gegenwart aussparen, gehört er für Käßmann dazu. Wieder so eine unangenehme Wahrheit.