Die Schauspielerin Helena Bonham Carter drehte für ihren Film „Eleanor & Colette“ in Nordrhein-Westfalen. Eine Begegnung am Drehort.

Die kleine Tablettenschachtel, die sich Helena Bonham Carter (51) kurz vor dem Interview reichen lässt, ist gegen das leichte Halskratzen. Es ist ein sonnigwarmer Frühlingstag im Rheinland, geradezu kalifornisches Klima. Die Westküste der USA und NRW sind in dem Psychiatriedrama „Eleanor & Colette“ (im Kino) ein Ort.

„Eleanor & Colette“ ist amerikanisches Kino made in NRW. „Ich schätze, 90 Prozent der Szenen haben wir in Köln gedreht. Nur die Außenaufnahmen sind in San Francisco entstanden“, erzählt Bonham Carter. Das Drama, das vom Kampf gegen Zwangsmedikation in der Behandlung von psychisch Kranken und die Allmacht der Pharmalobby handelt, stellt die britische Schauspielerin an diesem milden Abend in der Essener Lichtburg vor.

Schwere Erkrankung durch Nebenwirkungen

Für das Team um den dänischen Regisseur Bille August war nach jahrelangem Kampf um die Finanzierung des Projektes klar, dass sich die spezielle Geschichte von „Eleanor & Colette“ nur mit deutschem Filmfördergeld realisieren lassen würde. Helena Bonham Carter spielt Eleanor Riese, die nach einer Hirnhautentzündung in ihrer Jugend durch falsche und zu viele Medikamente an den Nebenwirkungen schwer erkrankt und mit 47 Jahren stirbt.

Bis zum Ende kämpft ihre Anwältin Colette, die bald auch zur besten Freundin wird, für Eleanors Recht, selbstbestimmt über die Anwendung von Psychopharmaka mitzuentscheiden. Ein juristisches Mammutverfahren, das seit dem Urteilsspruch 1987 Abertausenden psychisch kranken Amerikanern das Recht garantiert hat, bei der Behandlung mitreden zu können. „Eleanor hat sich damals an die Spitze einer Bewegung gesetzt. Das war unglaublich mutig. Für mich ist sie deshalb kein Opfer, sondern eine wahre Heldin“, findet Bonham Carter.

Leidenschaft für selbst gefertigte Rosenkränze

Wie intensiv sie sich in das Leben ihrer Filmfigur eingearbeitet hat, dokumentiert die dicke Mappe auf ihrem Schoß, voller Briefwechsel und Notizen, mit denen sie sich auf die Rolle vorbereitet hat „Ich wollte die Krankheit nicht einfach spielen, ich wollte verstehen, wie sich eine Panikattacke anfühlt.“

Auf der Vorderseite der Mappe klebt ein Foto der echten Eleanor. Eine freundliche, dunkelhaarige korpulente Frau mit rosigen Wangen, einem Koboldlachen und der Leidenschaft für selbst gefertigte Rosenkränze. Helena Bonham Carter hat sie genau studiert, hat sich ihren unsicheren, staksigen Gang zu eigen gemacht.

Ihr Vater bleibt bis zu seinem Tod ein Pflegefall

„Man hat mehr Verantwortung, wenn man eine reale Figur verkörpert“, findet die sonst so exzentrisch auftretende Schauspielerin und ist sich sicher, dass die echte Eleanor aus einer anderen Welt die Strippen gezogen hat: „Sie wollte gehört werden.“ Dass sich Bonham Carter so gut mit Eleanor Riese identifizieren kann, liegt vielleicht auch an der eigenen Kindheit, die von schweren Krankheiten in der Familie geprägt war.

Ihre Mutter wird Psychotherapeutin, nachdem sie selbst einen schweren Nervenzusammenbruch hinter sich hat. Ihr Vater erleidet nach einer fehlgeschlagenen Hirn-OP einen Schlaganfall und bleibt bis zu seinem Tod ein Pflegefall.

„Ich war 13 und fühlte mich irgendwie alleingelassen. Aber meine Reaktion darauf war, Schauspielerin zu werden. Raus aus der Realität.“ Schauspieler täten alles, um ein anderer zu sein, das sei sehr befreiend.

So macht Bonham einerseits früh Kinokarriere, mit Historienfilmen wie „Zimmer mit Aussicht“, trifft ihren späteren Lebensgefährten, Tim Burton, bei den Dreharbeiten zu „Planet der Affen“, boxt sich mit dem „Fight Club“ frei und verzaubert ihr Publikum als Hexe Bellatrix Lestrange in „Harry Potter“. Und auf der anderen Seite lebt sie zu Hause, bis sie 30 ist, um bei der Pflege des Vater zu helfen. Und irgendwann erwachsen zu werden.

Zwei Oscar-Nominierungen – Carter gehört zur ersten Liga

Etliche Filme, zwei Oscar-Nominierungen und eine Beinahe-Ehe später hat sie dann auch schon mal im Sarg gelegen. „Und das an meinem Geburtstag.“ Helena Bonham Carter lacht herzhaft über die kuriose Situation bei den Dreharbeiten zu „Eleanore und Colette“. Nur Hilary Swank habe viel weinen müssen. „Eine tolle Filmpartnerin“, schwärmt sie. „Wir hatten eine richtige Liebesaffäre.“

Frauenpower in Serie: Kaum hat sich Helena Bonham Carter der unförmigen Kittelkleider entledigt, wird sie in wenigen Wochen auch schon als exzentrische Modedesignerin Rose in „Ocean’s 8“ auftreten, der weiblichen Antwort auf Gauner-Streifen wie „Ocean’s Eleven“, zusammen mit Stars wie Sandra Bullock, Rihanna, Cate Blanchett und Anne Hathaway. „Wir machen jetzt, was die Männer machen“, freut sich Bonham Carter über die ungewohnte Rolle: „Und das macht Spaß!“