Ist ESC-Teilnehmer Michael Schulte der deutsche Ed Sheeran?
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Von Sören Kittel
Michael Schulte ist kein auffälliger Selbstdarsteller. Wenn er im Mai Deutschland beim ESC vertritt, macht er das – ganz entspannt.
Im Grunde ist sein Name schon ein Statement: Michael Schulte. Der Name klingt nicht nach großer weiter Welt, nicht nach „auf der Straße erkannt werden“ und 220 Millionen Zuschauern. Und dazu passt, dass Michael Schulte gerade mit seiner Verlobten nicht nach Hamburg oder Berlin, sondern nach Buxtehude gezogen ist. Er beantwortet Presse-Anfragen noch alle selbst, trifft sich abends mit seinen alten Schulfreunden oder mit seiner zukünftigen Frau, die als Logopädin arbeitet. Zum Eurovision Song Contest (ESC), wo er Deutschland am 12. Mai vertreten soll, fällt ihm vor allem dieser Satz ein: „Ach, ich sehe das eigentlich relativ entspannt.“
Dabei sind die Erwartungen an den Kandidaten in diesem Jahr hoch. Im Jahr 2010, als Lena mit „Satellite“ den ESC gewann, war die Welt noch in Ordnung. Aber in den letzten drei Jahren war es wie verhext: Levina holte im vergangenen Jahr den vorletzten Platz, Jamie-Lee und Ann-Sophie in den Jahren davor nur den letzten Platz.
Jetzt soll dieser Mann mit Gitarre also die Wende bringen: Nur in Jeans und T-Shirt kommt er zum Treffen in Hamburg, so, wie er auch vor zwei Wochen sein Lied „You let me walk alone“ beim Vorentscheid sang. „So bin ich eben“, sagt er und fragt: „Warum sollte ich mich denn verstellen?“
Bekannt wurde Schulte über die Plattform Youtube
Bühnenerfahrung hat er schon seit zehn Jahren, aber richtig bekannt wurde er durch die Plattform Youtube. Über 50 Millionen Menschen haben dort seine Videos gesehen. Als ihn die Castingsendung „Deutschland sucht den Superstar“ anfragte, lehnte er ab, aber als ihn dann „The Voice“ in ihrer Sendung dabeihaben wollte, begab er sich in die große Öffentlichkeit. Bei dem Sängerwettstreit machte er 2012 immerhin den dritten Platz – und kehrte dann wieder auf die kleineren Bühnen zurück.
„Das war schon hart, nach einem Millionenpublikum wieder vor nur 200 Menschen oder weniger zu spielen“, sagt er, „aber da muss man durch.“ Der NDR wurde auf ihn aufmerksam und wählte ihn aus jenen 4000 Künstlern, die für den ESC infrage kamen. Sechs Kandidaten lud der Sender dann in ein Camp ein, um mit Songschreiber-Experten an einem Lied zu arbeiten. Michael Schulte erinnert sich gern an diese drei Tage zurück.
„So arbeitet Ed Sheeran letztlich auch“, sagt Schulte und lächelt, weil er weiß, dass er selbst mit dem britischen Songwriter verglichen wird. Er ist ebenfalls rothaarig und begleitet sich selbst mit der Gitarre. Schulte schrieb in jenen Tagen auch „You let me walk alone“, eine Ballade über seinen Vater, der vor 13 Jahren gestorben ist.
Der Vater brachte ihm die ersten Akkorde bei, ihm ist sein Lied gewidmet
„Am Vormittag stand die Melodie, der Text noch nicht“, sagt er. Also begann er allein von vorn. Als die Schreiber-Experten ihn nach zwei Stunden besuchten, fanden sie ihn aufgelöst. „Ich hatte mich da reingesteigert, aber ich hatte den Text.“ Noch am gleichen Tag spielte er den Song ein – die Version, die noch heute auf der ESC-Webseite zu hören ist.
Diese ESC-Momente bleiben in Erinnerung
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Alle drei Jurys des Vorentscheids entschieden sich dann für ihn. Doch obwohl Michael Schulte dieses Lied vor ganz Europa vortragen wird, möchte er nicht mehr von seinem Vater erzählen. Nur eines: „Mein Vater hatte mir die ersten Akkorde auf der Gitarre beigebracht, G-Dur und D-Dur.“ Da war Michael sieben Jahre alt. Er war es auch, der im Krankenhaus neben dem Inkubator stand, eine Woche lang. Michael war mit fünf Kilo ein großes Baby und wäre bei der Geburt beinahe erstickt.
Schon in seiner Kindheit aber gehörte der ESC zum Familienleben der Schultes. „Das war ein Termin wie Weihnachten oder Ostern“, sagt er. Auch in diesem Jahr ist die Konkurrenz groß. Bisher findet er die Kandidaten aus Frankreich, Tschechien und Dänemark am besten.
Schulte ist zweisprachig, hofft auf ein paar Punkte aus Dänemark
Auf Dänemark blickt er ohnehin genau. In Eckernförde wuchs er zweisprachig auf und gab schon erste Interviews auf Dänisch. Er hofft auf ein paar Extra-Punkte aus dem Nachbarland. „Zumindest wird es kein letzter Platz“, da sei er sich sicher. Und egal, wie es ausgeht, die Bühne wird danach wieder kleiner werden. Das kennt er schon, und das gibt ihm dieses Michael-Schulte-Grundgefühl, mit dem er im Mai in Lissabon auf die Bühne geht: „Ganz entspannt.“