Essen . Er singt von kleinen Träumen und großen Dramen, vom Fliegen und vom Tod. Reinhard Mey erreicht ein Millionenpublikum. Jetzt wird er 75.

Alles beginnt im Bombenhagel. Mitten im Zweiten Weltkrieg. Nicht ahnend, dass draußen vor den verriegelten Fenstern der elterlichen Wohnung Berlin brennt, erlebt Reinhard Mey seine ersten Stunden des Glücks. Es sind seine Mutter, Tante und Oma, die den Kleinen in Geschichten betten. So behaglich, dass er selbst im Luftschutzbunker vor Freude „quiekt“, wie er später einmal erzählte.

Die Gabe, sich die Welt und all die Schwächen der Menschen durch Erzählungen erträglicher zu machen – sie scheint bei Reinhard Mey in der Familie zu liegen. Am Donnerstag wird der Musiker 75 Jahre alt.

Mey ist der Geschichtenerzähler unter den deutschen Liedermachern. Er singt von alltäglichen Sorgen und Banalitäten. Von Butterbroten, Klarsichtfolien, Männern im Baumarkt oder Elternabenden. Verziert mit dem ihm eigenen subtilen Humor. Da wird Gesellschaftskritik verpackt in doppeldeutige Formulierungen und ein bis heute jungenhaftes Schmunzeln, das hinter seiner Gitarre aufblitzt.

Reinhard Mey spricht akzentfrei Französisch

Kein Wunder vielleicht, dass Reinhard Mey zu Beginn seiner Karriere einiges einstecken muss. Als „Heino für die dritten Programme“ oder als „Heintje für geistig Höhergestellte“ verspottet ihn das Feuilleton. Den Soundtrack für die Studentenrevolte von 1968 liefern politischere Künstler wie Meys Freund Hannes Wader.

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    Mey geht einen anderen Weg: nach Frankreich. Für ihn eine zweite Heimat. Er hatte in Berlin das französische Gymnasium besucht und schon als Schüler nach dem Krieg viel Zeit in Frankreich verbracht. So viel Zeit, dass er die Sprache akzentfrei spricht. Und mit seiner Musik perfekt in die Kultur des Chansons passt. Unter dem Künstlernamen Frédérik Mey wird er 1968 zum Chansonsänger des Jahres gewählt – als erster Ausländer überhaupt. Seine Ehe mit einer Französin scheitert aufgrund der vielen Arbeit. Seine Karriere aber nimmt nun auch in Deutschland Fahrt auf.

    Der Liedermacher fährt Porsche, kauft sich ein Haus, lernt Fliegen

    Spätestens das Album „Mein achtel Lorbeerblatt“ macht ihn 1972 zum Star. Die Lieder, die darauf versammelt sind, sind Paradebeispiele für den Stil Meys. Es finden sich humoristische Abrechnungen mit der linken Debattenkultur („Annabelle, ach Annabelle“), Beobachtungen aus dem Leben („Die heiße Schlacht am kalten Büffet“) und Balladen über den Tod und Abschied („Schade, dass du gehen musst“).

    War er der Liedermacherszene zuvor zu unpolitisch, gilt Mey nach dem Erfolg als kapitalistisch. Gewann ein Künstler damals eine Goldene Schallplatte, „war eben klar, dass man nur ein kommerzielles Schwein sein konnte“, erinnerte sich Mey später in einem Interview. Doch er genießt den Erfolg, fährt Porsche, kauft sich ein Haus, lernt Fliegen. Eine Leidenschaft, die er 1974 in „Über den Wolken“ verarbeitet. Es ist vielleicht der Mey-Song schlechthin. Die Zeile „Über den Wolken muss die Freiheit wohl grenzenlos sein“ ist längst zur Redewendung geworden.

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      Sohn Maximilian stirbt nach Jahren im Wachkoma

      Wer den Menschen Reinhard Mey kennenlernen will, braucht nur seine Musik zu hören. Dort erzählt er, was ihn bewegt. Von der Liebe zu seiner zweiten Ehefrau Hella, von seinen drei Kindern. Und vom Tod. 2009 fällt sein Sohn Maximilian mit 27 Jahren ins Wachkoma. Er brach nach einer verschleppten Lungenentzündung einfach zusammen. Fünf Jahre lang pflegt die Familie den Sohn, hofft, bangt und trauert. Mey schreibt das Lied „Drachenblut“: „Begierig zu sehn, in welches Meer der Strom mündet / Hast du dein Licht an beiden Seiten angezündet / Nun ringt es flackernd um seinen Schein / Mein fernes, mein geliebtes Kind, schlaf ein.“ 2014 stirbt Maximilian Mey.

      Seitdem hat sich Reinhard Mey etwas zurückgezogen aus der Öffentlichkeit. Nur auf Tournee geht er noch regelmäßig. Anfragen für Interviews lehnt Mey zu seinem Geburtstag ab und lässt mitteilen: „Ihr wisst alles von mir. Ich will unsere kostbare Zeit nicht mit Wiederholungen vergeuden, ich möchte in Ruhe schreiben.“