Berlin. Der Schauspieler Kenneth Branagh ist gerade in „Mord im Orientexpress“ zu sehen. Ein Gespräch über Agatha Christie und Schnurrbärte.

Er habe „Shakespeare im Blut“, sagt Kenneth Branagh (57) immer wieder gern. Schon im Alter von 23 Jahren zählte er zur berühmten Royal Shakespeare Company. Gerade einmal 29 Jahre war er, als er seinen ersten Film – Shakespeares „Henry V.“ – ins Kino brachte, der ihm gleich zwei Oscar-Nominierungen einspielte. Branagh, der für seine Rolle des Kurt Wallander von Bestsellerautor Henning Mankell großes Kritikerlob erhielt, ist längst ein Multitalent: Er ist Schauspieler, Regisseur – und oft beides in einem Film: wie jetzt in „Mord im Orientexpress“, für den er Topschauspieler wie Johnny Depp, Judi Dench und Michelle Pfeiffer gewinnen konnte. Kenneth Branagh hat Regie geführt und ist zugleich in die Rolle des Meisterdetektivs Hercule Poirot geschlüpft. Ein Gespräch über Krimis, Agatha Christie und über Schnurrbärte.

Können Sie sich noch an Ihr erstes Mal Agatha Christie erinnern?

Kenneth Branagh: Das muss „Der Tod auf dem Nil“ gewesen sein, den Roman hat meine Mutter eines Tages mit nach Hause gebracht. Sie begann erst Bücher zu lesen, als sie schon in ihren Fünfzigern war. Wir stammen aus der Arbeiterklasse in Belfast, unsere Welt war lange Zeit eher eine der mündlichen Überlieferung, wir erzählten uns Geschichten, statt sie zu lesen. Etwa zur selben Zeit, ich war 15, 16 Jahre alt, entdeckte ich das lokale Theater in unserer Kleinstadt für mich. Ich sah dort Agatha Christies Stücke „Ein unerwarteter Gast“ und „Das Eulenhaus“ und war sehr beeindruckt, wie sie mit diesen großen Figurenensembles jongliert und damit das Ratespiel nach dem Täter so spannend macht.

Was haben Sie, außer Ihrer Vorliebe für Agatha Christie, noch von Ihren Eltern gelernt?

Branagh: Sie haben mir wirklich eingetrichtert, mich selbst nicht zu wichtig zu nehmen. Komischerweise ist das genau der Vorwurf, den ich mir immer wieder anhören muss. Ich wurde im Laufe der Jahre wieder und wieder deswegen angefeindet, aber ich habe gelernt, damit umzugehen und meinen eigenen Weg zu gehen.

Ihr Hercule Poirot ist nicht nur das schrullige Genie früherer Filme, er ist komplexer, auf eine Art ein gebrochener Charakter.

Branagh: Als ich Kriminalkommissar Wallander in der Fernsehserie spielte, ist mir eines klar geworden: Die Nähe zu Gewalt und Verbrechen sorgt entweder dafür, dass ein Mensch zynisch wird und die Empathie für die Opfer verlernt, statt sie als Menschen zu sehen. Oder er verzweifelt daran. Ich glaube, Poirot ist da irgendwo in der Mitte. Er ist rational, fast wissenschaftlich, aber der Fall lässt ihn nicht kalt, das moralische Dilemma beschäftigt ihn.

Haben Sie manchmal Rachegelüste?

Branagh: Um ehrlich zu sein, ich ärgere mich natürlich über manches, aber ich bin kein nachtragender Mensch. Ich habe sehr an mir gearbeitet, ich meditiere seit Jahren regelmäßig. Es heißt, Meditation hilft, die schlimmsten Charaktereigenschaften zu zügeln, ob es Ungeduld oder was auch immer ist. Und mir hat es geholfen, mich weniger über Dinge oder Leute zu ärgern. Und ich hatte ein gutes Leben. An wem und wofür sollte ich mich schon rächen?

Wie haben Sie den passenden Schnurrbart gefunden?

Branagh: Ich habe mich im Vorfeld mit dem Enkel von Agatha Christie getroffen, Mathew Prichard. Er ist 74 Jahre alt und hat in seinem Leben unzählige Verfilmungen und Theaterfassungen ihrer Romane gesehen. Ich hatte erwartet, dass er wissen wollte, was ich mit der Handlung und den Charakteren vorhabe. Aber seine allererste Frage war: „Was ist mit dem Schnurrbart? Wie wird er aussehen?“ Und er meinte es in vollem Ernst. Und er hat recht. Der Bart ist Poirots Maske, sein Schutzschild, sein Beobachtungsposten, aber auch der Feind des Essens. Ich versuchte einem Satz gerecht zu werden, den Agatha Christie einmal schrieb: „Hercule Poirot hatte die prachtvollsten Schnurrbärte in ganz England.“ Und ich kam schließlich zu dem Schluss, dass hier ein sonst abgedroschenes Motto durchaus zutrifft: „Size matters“. Je größer, desto besser.

Sie sind als Junge selbst einmal mit dem Orient-Express gereist.

Branagh: Ich war damals vielleicht sieben Jahre alt. Am ersten Abend aßen wir im Speisewagen, und als ich in mein Abteil zurückkam, hatte es sich wie durch Zauberhand in ein Schlafzimmer verwandelt, mit einem Bett, einem Nachtkästchen und einem kleinen Waschbecken. Ich war hin und weg. Am nächsten Morgen frühstückte ich im Bett, lag da mit meiner Tasse Tee und einem Croissant und sah durchs Zugfenster die Alpen vorüberziehen. Ich kam mir vor wie ein Prinz. Einige Stunden später gingen die Türen auf und ich war in Venedig. Es war magisch!