Frankfurt/Main . Die britische Autorin Paula Hawkins landete mit „Girl on the Train“ einen Welterfolg. Jetzt erschien ihr neuer Roman: „Into the Water“.

Wir sind die Summe unserer Erinnerungen, glaubt die britische Autorin Paula Hawkins, aber wie zuverlässig ist die Erzählstimme aus der eigenen Vergangenheit? Paula Hawkins war Wirtschaftsjournalistin in London, wurde arbeitslos in der Finanzkrise, schrieb erfolglos leichte Frauenromane unter Pseudonym. Schließlich musste sie sich Geld bei ihren Eltern leihen und schickte das letzte, nur halb fertige Manuskript eines Thrillers an ihre Agentin. Was wäre gewesen, wäre es das dann gewesen damals? Hätte Hawkins nicht den einen Hit gelandet, von dem jeder Autor träumt, hätte sich „Girl on the Train“ nicht 20 Millionen Mal verkauft, wäre er nicht von Hollywood verfilmt worden mit Emily Blunt in der Hauptrolle?

„Im Nachhinein wirken die schlechten Jahre so, als würden sie Sinn ergeben und hätten mich zu dem gemacht, was ich bin“, sagt die 45-Jährige. Wäre sie aber heute nicht Bestsellerautorin und Millionärin, „dann wären die schlechten Jahre einfach nur – schlechte Jahre. Also verändert sich im Nachhinein die Art, wie ich über diese Jahre denke und spreche.“

Zweiter Roman erntete Kritik

Paula Hawkins ist ungeschminkt, trägt weite Kleidung und wenig Schmuck. Ein kleiner Reigen von Signierstunden führt sie durch Deutschland; kürzlich ist ihr zweiter Roman „Into the Water“ erschienen. Doch obwohl ihre Geschichte einer Heldenreise gleichkommt, sitzt hier keine strahlende Siegerin. In Hawkins’ Sätzen schwingt Ungeduld mit, ein leichtes Zucken der Mundwinkel macht jedes Lächeln zu einem ironischen. Wie der Erfolg sich anfühlt? „Offensichtlich“ sei das eine großartige Sache, so Hawkins, „meistenteils eine gute Erfahrung“. Sie kann sich nicht beschweren. Nur machte die viele Aufmerksamkeit das Schreiben des zweiten Buches „zu einer Sache, vor der ich Angst hatte“.

Und tatsächlich konnte „Into the Water“ nicht recht auf den Zug des erfolgreichen Zugmädchens aufspringen. Die britische Presse lästerte, Leser zeigten sich erschlagen von der düsteren Handlung, die das Geheimnis rund um die Frauenleichen in einem kleinstädtischen Fluss allmählich offenbart.

Paula Hawkins wuchs in Simbabwe auf

In dem gefeierten Erstling „Girl on the Train“ war die Erinnerung der Hauptfigur getrübt durch alkoholbedingte Ausfälle. Auch im zweiten Werk geht es um falsche Erinnerungen, geht es darum, „welche Geschichten wir uns über unser Leben erzählen und wie diese Geschichten sich im Laufe unseres Lebens verändern“, so Hawkins. Denn: „Wenn wir unsere Erinnerung verlieren, verlieren wir unser Gefühl für uns selbst, unsere Identität.“

Paula Hawkins’ früheste Erinnerung? Diese Frage beantwortet sie mit einem fröhlichen Lachen, das so paradox scheint wie die anfängliche Zurückhaltung. „Mein Bruder hat meinen kleinen Finger in einer Tür eingeklemmt, schauen Sie, hier – er ist ein Stück kürzer als der andere. Ich war erst zwei Jahre alt. Aber ich erinnere mich gut an das Gefühl, alleine im Krankenhaus bleiben zu müssen.“ Paula Hawkins ist in Simbabwe aufgewachsen, ihr Vater war Professor an der Universität. „Das war eine sehr glückliche, sehr privilegierte Kindheit, in einem Haus mit Pool und ewigem Sonnenschein.“

Verlorene Erinnerungen als Inspiration

Einerseits. Andererseits: Je älter Paula Hawkins wurde, „desto stärker realisierte ich, dass mein Glück einen sehr hohen Preis hatte – den andere bezahlen mussten. Simbabwe war nicht Südafrika, aber doch geprägt durch Ungleichheit und Ungerechtigkeit.“ Der schwarze Gärtner, das schwarze Hausmädchen, sie wurden immer stärker zu einem Symbol. Mit 17 zog sie nach London. Ein Bruch mit der Vergangenheit: „Ich habe die Erinnerung an meine Kindheit angepasst an das, was ich später erfahren habe. An das meiste erinnere ich mich tatsächlich gar nicht mehr. Es ist sicher richtig, dass dieses Gefühl nun in meine Bücher einfließt.“

Die Romanheldinnen von Paula Hawkins sind „Menschen, die auf eine Art beschädigt sind“. Inzwischen gibt es eine Vielzahl dieser Frauen in Literatur und Film: „Unordentliche, schwierige, wütende Frauen, die mag ich.“ Ihrem jüngsten Roman ist eine Widmung vorangestellt: „Für alle unbequemen Frauen“. Und Hawkins’ nächster Roman? Ist in Arbeit, weitgehend angstfrei. Die Heldin wird weiblich sein. Mehr verrät sie nicht.