Köln. Seit 20 Jahren moderiert Lisa Ortgies das WDR-Magazin „Frau tv“. Wir haben mit ihr über Emanzipation und Schönheitswahn gesprochen.

„Familiensache ist Frauensache“ – wer diesen altbekannten Satz hört, muss bisweilen gähnen. Kommt dieser Satz jedoch von Lisa Ortgies (51), ist der Zuhörer gleich hellwach. Seit 20 Jahren moderiert die Journalistin „Frau tv“, das einzige Frauenmagazin im deutschen Fernsehen, mit Überzeugung und Frische. Petra Koruhn sprach mit Lisa Ortgies über zunehmenden Druck und Schönheitswahn.

Frau Ortgies, wie haben sich die Themen in 20 Jahren verändert?

Lisa Ortgies: Wir waren anfangs kleinteiliger, mehr ausgerichtet auf sachlich-politische Themen. Über die Jahre kamen verstärkt Themen zu Partnerschaft und Sexualität dazu, aber auch Migration. Und vor allem geht es jetzt auch um Männer. 36 Prozent unserer Zuschauer sind mittlerweile männlich.

Weil ihre Frauen sie dazu animieren?

Ortgies: Nein, nein. Sie gucken von alleine, ohne dass sie überredet werden müssen.

Das Wort „Emanzipation“ klingt in den Ohren junger Frauen heute verstaubt. Sie sagen, sie brauchen das nicht, die Welt steht ihnen offen.

Ortgies: Es stimmt doch auch: Junge Frauen haben heute unglaublich viele Möglichkeiten. Es ist aber ab und zu wichtig, das in einen Zusammenhang zu stellen und klar zu machen: Dass ihr so hohe Erwartungen habt, ist ein Verdienst der Emanzipation. Andere haben den Weg frei geräumt. In den 70er Jahren durfte eine Frau nicht ohne Zustimmung des Ehemanns arbeiten gehen. Das ist natürlich längst Geschichte. Aber junge Frauen sollten zumindest wissen, dass ein paar Vorurteile aus dieser Zeit überdauert haben. Und dass sie unter Umständen Überraschungen erleben, wenn sie heiraten oder das erste Kind kriegen.

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    Inwiefern?

    Ortgies: Weil viele Arbeitgeber plötzlich auf die Idee kommen, dass sie nicht mehr leistungsfähig, einsatzfähig oder ehrgeizig sind. Da wird dann überlegt, ob man ihr noch Verantwortung übergeben, sie zur Teamleiterin machen soll. Oder noch zur Fortbildung schickt.

    Was können sie raus aus dem Teufelskreis?

    Ortgies: Sie sollten den Arbeitgeber genau darüber informieren, wie und wann sie nach der Geburt arbeiten wollen und sich möglichst an diesen Plan halten. Und – noch wichtiger: Sie sollten sich mit ihrem Partner genau besprechen. Nicht nur Geburtsvorbereitungskurse sind wichtig, sondern ganz klar muss über die Planung der nächsten fünf Jahre gesprochen werden. Wer soll oder muss wieviel Geld verdienen? Wer bleibt wann und wie lange zu Hause? Und wie verteilt man Familie und Job auf beide Schultern?

    Meist bleibt die Frau zu Hause.

    Ortgies: Das ärgert mich besonders. Die Väter haben sich zwar bewegt, aber wenn es zum Beispiel um das Thema Elternzeit geht, geht es nur im Schneckentempo voran. Nur 20 Prozent der Männer nimmt die Elternzeit in Anspruch – und dann meist nur zwei Monate. In Schweden sind es 80 Prozent.

    Sie haben zwei Kinder, das jüngste ist zehn. Sie klingen so, als hätten Sie alles gut hingekriegt.

    Ortgies: Schön wär’s. Gut, eins muss ich sagen: Mein Mann übernimmt wirklich die Hälfte im Haushalt. Ob Hausarbeit oder ob es Windelwechseln war, jeder machte und macht alles. Das eigentliche Problem war, dass er durch seinen Job oft gar nicht anwesend war. Dann musste ich vieles alleine wuppen. Auch bei uns ging das alles nicht ohne Diskussion oder auch Streit. Immer wieder neu verhandeln ist wichtig, auch wenn man eigentlich das Bedürfnis nach Harmonie hat.

    Und bei allem sollen Frauen auch noch schön aussehen.

    Ortgies: Frauen müssen heute nicht nur erfolgreich sein, die Babykost frisch kochen, eine gute Mutter sein, die das Kind fördert und fordert – nein, sie müssen auch noch Sixpacks haben und direkt nach der Geburt wieder in Größe 38 passen. Das ist doch ein irrsinniger Druck.

    Und dieser Druck ist gestiegen?

    Ortgies: Ja, Frauen müssen in allen Lebenslagen perfekt sein. Sogar bei der Geburt ihrer Kinder. Da wird dann oft der Anspruch an die Frau herangetragen, die Kinder auf natürliche Weise, also ohne Schmerzmittel, auf die Welt zu bringen. Dieser Anspruch setzt die Frauen nicht nur unter Druck, sondern führt zu einer extremen seelischen und körperlichen Belastung. Geburt ist doch kein Marathonlauf, den man bestehen muss.