Berlin. Verena Bentele ist blind. Als Politikerin und Behindertenbeauftragte setzt sich die 34-Jährige für Millionen Menschen mit Handicap ein.

Verena Bentele ist schon fast am Ausgang, als sie noch einmal angehalten wird. Der Mann, der sie beim Treffen der Schwerbehindertenvertreter der Deutschen Bahn anspricht, sitzt im Rollstuhl und benötigt ihre Hilfe. Er brauche ein neues Badezimmer, mit weniger Barrieren, sagt er. Es gebe Hilfe für den Umbau, aber die zu bekommen sei nicht einfach. Der Mann ist sauer und schimpft auf „die ewige Antragstellerei“. Nicht einen müsse er stellen, sondern gleich vier oder fünf.

Verena Bentele (34) ist Behindertenbeauftragte der Regierung. Sie ist blind, von Geburt an. Die Politikerin, die zu offiziellen Auftritten auch mal ein gepunktetes Kleid zu schwarz lackierten Fingernägeln trägt, kümmert sich um die Bedürfnisse und Interessen von zehn Millionen behinderten Menschen in Deutschland.

Barrieren sind ihr nicht fremd

Bentele ist in der 35-jährigen Geschichte des Amtes erst die zweite Frau und die erste Amtsinhaberin, die selbst mit einer Behinderung lebt. Sie weiß, welche Probleme Behinderte haben. Dennoch ist Hilfe nicht so einfach: Dem Mann im Rollstuhl, der sie in der Hoffnung ansprach, endlich Hilfe zu bekommen, kann sie das Problem auch nicht sofort nehmen. Er möge sich an ihr Büro wenden, sagt sie. Man werde ihm dort Ansprechpartner nennen.

Barrieren sind ihr nicht fremd. Wenn sie als Bundesbeauftragte unterwegs ist, dann immer in Begleitung einer ihrer beiden Assistentinnen, die mit ihr durch unbekanntes Terrain navigieren. Doch auch im Privaten erlebt sie tagtäglich, dass Behinderungen oft nicht mitbedacht werden. Wenn die Gleisänderung am Bahnhof zwar angezeigt, aber nicht durchgesagt wird. Oder der Aufzug einen spiegelglatten Touchscreen hat statt ertastbarer Knöpfe. Immerhin liest der Laptop ihre E-Mails laut vor.

Sie ist vierfache Weltmeisterin

Bevor sie in die Politik ging, war sie Verena Bentele, die Spitzensportlerin. Biathletin und Langläuferin. Vierfache Weltmeisterin, 12-fache paralympische Goldmedaillengewinnerin. Gerade 16 war sie, als sie 1998 in Nagano zum ersten Mal paralympisches Gold holte. Nach der Bundestagswahl, an einem Dezembertag vor gut drei Jahren, kam der Anruf aus Berlin. Sie hatte Münchens Olympia-Bewerbung unterstützt, SPD-Bürgermeister Christian Ude hatte sie auf die Liste für die Münchner Stadtratswahl gesetzt, da klingelte nachmittags ihr Telefon.

Andrea Nahles, die neue Arbeitsministerin, kam sofort zur Sache: „Könntest du dir vorstellen, Beauftragte der Bundesregierung zu werden?“ Sie habe zwei Tage Bedenkzeit. Bentele saß nach dem Gespräch da, verblüfft. Dann rief sie ihre Familie und Freunde an, und schließlich sagte sie zu. Doch so schnell die Entscheidung getroffen war, die Umstellung dauerte länger. „Im Sport hatte ich mehr Einfluss auf meinen eigenen Erfolg“, sagt Bentele, „da war klar, wenn ich schnell laufe und gut schieße, kann ich gewinnen.

Bentele muss um Einbindung kämpfen

Das ist auf die Politik leider nicht eins zu eins übertragbar.“ Gesetzgebungsverfahren seien langsam, und oft müsse die Beauftragte darum kämpfen, überhaupt eingebunden zu werden, sagt sie. Auch Öffentlichkeit funktioniert für die Politikerin anders als für die erfolgreiche Sportlerin. Einige Medien würden in der Bewertung „nur ‚super‘ oder ‚totaler Mist‘“ kennen, sagt Bentele. „Wenn man sagt, es gibt zwei Seiten, und das ist der Kompromiss – dann wird nicht über ein Thema berichtet.“

Die Begegnung mit dem Herrn im Rollstuhl liegt noch vor ihr, als Bentele sich auf die Rede vorbereitet, für die sie bei den Bahn-Vertretern ist. Noch einmal fliegen ihre Finger über das weiße Blatt, auf dem ihre Rede steht. Weiß, nicht leer: Die Braille-Schrift wird für ungeübte Augen erst auf den zweiten Blick sichtbar. Dann steht sie auf, geht, begleitet von ihrer Assistentin, zum Pult und beginnt zu sprechen. Frei, die Augen geradeaus.