Bad Emstal. Malte Spitz ist es als Politiker gewohnt, Reden zu halten. Viele Stotterer meiden das Sprechen dagegen – aus Angst sich zu blamieren.

Malte Spitz lacht laut, wenn er gefragt wird, ob er Deutschlands bekanntester Stotterer ist. „Ob ich das bin, weiß ich nicht, aber ich bin einer von denen, die offen darüber sprechen“, erklärt der Politiker von Bündnis 90/Die Grünen. Gestottert hat der 32-Jährige schon immer. „Es fing im Kindergarten an.“

Anfangs besuchte er noch Logopäden, später entschied er sich bewusst gegen weitere Therapien. Genügend Selbstbewusstsein spielt mit Sicherheit eine Rolle. Der Buchautor nahm sich vor, sich in seiner Lebensplanung auf keinen Fall einschränken zu lassen. Das ist ihm gelungen. Er ist verheiratet, hat zwei Kinder und hat in seiner Partei hohe Ämter errungen.

Viele Stotterer haben Angst, sich zu blamieren

Typisch ist das nicht. „Viele Betroffene vermeiden das Sprechen“, weiß Alexander Wolff von Gudenberg, Institutsleiter der Kasseler Stottertherapie und Facharzt für Allgemeinmedizin, Stimm- und Sprachstörungen. Aus Angst vor der Blamage würden sich viele Stotterer für eher non-verbale Berufe entscheiden. Der Tag des Stotterns am Samstag soll auf das Problem aufmerksam machen.

Von Gudenberg, der selbst vom Patienten zum Therapeuten wurde, kennt das Problem: „Ich musste selbst viele Demütigungen einstecken“, erinnert er sich. In 25 Jahren hat er zwölf Therapien auf drei Kontinenten besucht. Inzwischen kommt er mit der Krankheit gut zurecht. Er braucht nur manchmal länger, um auf überraschende Fragen zu reagieren, wählt die Wörter bewusst und mit Bedacht.

800.000 Deutsche stottern

Von Gudenberg selbst und Spitz gehören zu dem Typ, den von Gudenberg den „Ich will es allen zeigen“-Typus nennt. Traurig sei bei dem Krankheitsbild allerdings, dass Betroffene die Krankheit oft als „traumatisierend“ erlebten. „Die Krankheit kann zu anderen Problemen führen, in Extremfällen sogar zu Suizid-Neigung und Alkoholismus“, so von Gudenberg.

800.000 Deutsche, 1 Prozent der Bevölkerung, stottern. Die Veranlagung tragen viele Menschen in sich, doch nicht bei jedem wird das Stottern zwangsläufig ausgelöst. Traumatische Erlebnisse in der Kindheit, beispielsweise die Scheidung der Eltern oder ein Unfall, sind nicht die Ursache des Stotterns, sondern meist Auslöser und begünstigen somit das Auftreten der neurologischen Erkrankung.

Diese Promis sind Stotterer

Der Graf von Unheilig stottert seit seiner Kindheit. Wenn er singt, bleibt er dagegen nie an Wörtern hängen. Er will Vorbild sein und Betroffenen zeigen, dass man auch mit einem Sprachproblem seine Träume verwirklichen kann.
Der Graf von Unheilig stottert seit seiner Kindheit. Wenn er singt, bleibt er dagegen nie an Wörtern hängen. Er will Vorbild sein und Betroffenen zeigen, dass man auch mit einem Sprachproblem seine Träume verwirklichen kann. © imago/Future Image | imago stock&people
Auch der deutsch-türkische Fußballer Hamit Altintop stottert – sein Zwillingsbruder Halil dagegen nicht.
Auch der deutsch-türkische Fußballer Hamit Altintop stottert – sein Zwillingsbruder Halil dagegen nicht. © imago/Bildbyran | imago sportfotodienst
In der Schule wurde der britische Star-Komiker Rowan Atkinson nicht nur wegen seines Aussehens gehänselt, sondern auch, weil er stotterte. Erst mit Beginn seines Ingenieurstudiums in Oxford habe „Mr. Bean“ seine Sprechstörung in den Griff bekommen, heißt es.
In der Schule wurde der britische Star-Komiker Rowan Atkinson nicht nur wegen seines Aussehens gehänselt, sondern auch, weil er stotterte. Erst mit Beginn seines Ingenieurstudiums in Oxford habe „Mr. Bean“ seine Sprechstörung in den Griff bekommen, heißt es. © imago/China Foto Press | imago stock&people
Hollywood-Ikone Marilyn Monroe war in ihrer Jugend ausgesprochen schüchtern. Marilyns erotische Sprechweise mit den weggehauchten Vokalen soll das Ergebnis eines intensiven Trainings zur Überwindung ihres Stotterns gewesen sein.
Hollywood-Ikone Marilyn Monroe war in ihrer Jugend ausgesprochen schüchtern. Marilyns erotische Sprechweise mit den weggehauchten Vokalen soll das Ergebnis eines intensiven Trainings zur Überwindung ihres Stotterns gewesen sein. © imago/AD | imago stock&people
Der Vater der heutigen Queen, King George VI., war von früher Kindheit an schüchtern und stotterte. Erst mit 30 Jahren half ihm ein Sprachtherapeut, den „Makel“ zu überwinden.
Der Vater der heutigen Queen, King George VI., war von früher Kindheit an schüchtern und stotterte. Erst mit 30 Jahren half ihm ein Sprachtherapeut, den „Makel“ zu überwinden. © imago/UIG | imago stock&people
Die Geschichte des Monarchen war Grundlage für den Kinofilm „The King’s Speech“. Der Erfolgsfilm, der mit vier Oscars ausgezeichnet wurde, lenkte die öffentliche Aufmerksamkeit auf das Thema Stottern.
Die Geschichte des Monarchen war Grundlage für den Kinofilm „The King’s Speech“. Der Erfolgsfilm, der mit vier Oscars ausgezeichnet wurde, lenkte die öffentliche Aufmerksamkeit auf das Thema Stottern. © imago/ZUMA Press | imago stock&people
Mit „Stirb langsam“ gelang Bruce Willis Ende der 1980er-Jahre der internationale Durchbruch. Als Therapie gegen das Stottern hatte man ihm empfohlen, Theater zu spielen. So kam Willis während der Schulzeit zur Schauspielerei und wurde zu einem der bekanntesten Action-Helden.
Mit „Stirb langsam“ gelang Bruce Willis Ende der 1980er-Jahre der internationale Durchbruch. Als Therapie gegen das Stottern hatte man ihm empfohlen, Theater zu spielen. So kam Willis während der Schulzeit zur Schauspielerei und wurde zu einem der bekanntesten Action-Helden. © imago/Future Image | imago stock&people
John Larkin alias Scatman John litt als Kind sehr unter seinem Stottern. In einem Interview sagte der US-Musiker, dass die Musik im geholfen habe, seine Gefühle auszudrücken.
John Larkin alias Scatman John litt als Kind sehr unter seinem Stottern. In einem Interview sagte der US-Musiker, dass die Musik im geholfen habe, seine Gefühle auszudrücken. © imago stock&people | imago stock&people
Der ehemalige britische Premierminister Winston Churchill soll bei seinen Reden Wörter vermieden haben, über die er hätte stolpern können. Das Churchill-Center in Chicago allerdings behauptet: Der Staatsmann hat nicht gestottert, sondern gelispelt.
Der ehemalige britische Premierminister Winston Churchill soll bei seinen Reden Wörter vermieden haben, über die er hätte stolpern können. Das Churchill-Center in Chicago allerdings behauptet: Der Staatsmann hat nicht gestottert, sondern gelispelt. © imago/StockTrek Images | imago stock&people
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Grünen-Politiker Spitz will sich nicht verstecken

„Je eher die Krankheit behandelt wird, desto erfolgreicher ist die Therapie“, fasst von Gudenberg zusammen, der in seinem Institut in Bad Emstal bei Kassel etwa 300 Patienten pro Jahr behandelt. Eine gute Therapie müsse langfristig erfolgreich sein, denn die Rückfallquote sei hoch. Hat sich das Stottern bis ins Erwachsenenalter nicht gegeben, bestehen nur geringe Aussichten auf vollständigen Rückgang.

Für Malte Spitz ist der Umgang mit der Krankheit einfach. „Der sinnvollste Schritt ist, sich nicht zu verstecken“, sagt er. Früher habe er wichtige Reden oft zwischen 20 und 40 Mal geübt. Vor dem Spiegel, im Stehen, wann immer sich die Gelegenheit bot. „Ich habe wie ein Sportler trainiert.“ Inzwischen ist er routiniert und spricht flüssig. Nur manchmal holt er Luft oder stellt den Satz um.

Stotternde Nachrichtensprecher?

Spitz ärgert, dass die Krankheit noch oft ein Tabu sei. Selten werde er offen auf das Stottern angesprochen. Sein Wunsch für die Zukunft ist daher: „Ein normaler Umgang mit Stotterern.“ Hilfreich wäre es seiner Meinung nach, wenn Medien ganz selbstverständlich Stotterern einen Platz einräumen würden. Beispielsweise als Sprecher in Nachrichtensendungen. Würde dort entspannt mit Betroffenen umgegangen, wäre das auch in der Gesellschaft schnell akzeptiert.

Bei von Gudenberg fällt der Vergleich mit den vergangenen Jahrzehnten positiv aus. „Man muss sagen, dass Lehrer inzwischen besser darauf vorbereitet werden, mit Behinderungen umzugehen.“ (dpa)