Berlin. Ernst Nolte hat als Historiker für zahlreiche Debatten über das vergangene Jahrhundert in Deutschland gesorgt. Nun ist er gestorben.

Der Historiker Ernst Nolte ist in Berlin im Alter von 93 Jahren gestorben. Die Familie des Wissenschaftlers bestätigte der Deutschen Presse-Agentur entsprechende Berichte des „Tagesspiegels“. Demnach starb Nolte nach kurzer, schwerer Krankheit.

Nolte hatte mit zahlreichen wissenschaftlichen Beiträgen für Diskussionen über die Geschichte Deutschlands im 20. Jahrhundert gesorgt. Am bekanntesten dürfte dabei sein Gastbeitrag für die „Frankfurter Allgemeine Zeitung“ im Jahr 1986 unter dem Titel „Vergangenheit, die nicht vergehen will“ gewesen sein, der den so genannten Historikerstreit auslöste. Nolte vertrat darin – verkürzt – die These, dass die Verbrechen der Nationalsozialisten auch als Reaktion auf bolschewistische Aktionen seit 1917 zu sehen seien. Nolte betitelte dementsprechend eines seiner Werke mit „Der europäische Bürgerkrieg 1917-1945“. Er vertrat dabei stets die These, dass der Holocaust dennoch ein beispielloses Kapitel in der deutschen Geschichte darstellt.

Der Sozialwissenschaftler Jürgen Habermas antwortete Nolte seinerseits auf dessen Thesen vom Bürgerkrieg und den Verbrechen der Nationalsozialisten mit einem Text in der „Zeit“. Mit der Deutung des Nationalsozialismus als Antwort auf die bolschewistische Bedrohung mache Nolte Hitlers Verbrechen „mindestens verständlich“. Der „Spiegel“-Herausgeber Rudolf Augstein warf dem Wissenschaftler vor, das Bürgertum, die Generalität und den Massenmörder Hitler zu entlasten. Es folgte eine einjährige Diskussion unter zahlreichen Geisteswissenschaftlern, die ihren Diskurs vor allem in Leserbriefen in Zeitungen austrugen.

Als sich Angela Merkel weigerte eine Lautdatio zu halten

Der Professor der Freien Universität Berlin verharmlose die Nazis und begebe sich in die Nähe der Holocaust-Leugner, lautete der zentrale Vorwurf. Seine Behauptungen gelten in der Historiker-Zunft inzwischen als widerlegt. Dennoch hielt der Zeitgeschichtler auch in späteren Veröffentlichungen an seinen Thesen fest und isolierte sich damit in der Fachwelt zunehmend. Im Jahr 2000 lehnte es die CDU-Vorsitzende Angela Merkel ab, anlässlich der Verleihung des Konrad-Adenauer-Preises durch die Deutschland-Stiftung die Laudatio auf den umstrittenen Wissenschaftler zu halten.

Nolte blieb zeitlebens unbeirrt. In einem Interview des „Spiegel“ etwa sagte er 1994, er könne nicht ausschließen, dass die meisten Holocaust-Opfer nicht in den Gaskammern, sondern durch Seuchen und Massenerschießungen getötet wurden. Im Ergebnis, erklärte schließlich der Historiker Heinrich August Winkler, habe die Auseinandersetzung um Noltes Thesen einen Wandel in der politischen Kultur beschleunigt und die „vorbehaltlose Öffnung“ der jungen Bundesrepublik gegenüber dem Westen gefestigt.

Für Nolte war Deutschland nach links gerückt

Der Historiker selbst sah sich durch die Vorwürfe seiner Kollegen ungerecht behandelt. Nicht er habe sich zu einem radikalen Rechten entwickelt, vielmehr sei die deutsche Öffentlichkeit nach links gerückt, argumentierte er. Auch in seinen späteren Büchern über die Weimarer Republik und Europa ging er weiter der Frage nach: Wie war Hitler möglich? Für ihn blieb gültig, dass Nationalsozialismus und Kommunismus die Kontrahenten eines „Europäischen Bürgerkrieges“ waren, wie er es bereits in seinem 1987 unter diesem Titel erschienenen Buch beschrieben hatte.

Trotz der Verwerfungen galt der in Witten an der Ruhr geborene Sohn eines Volksschuldirektors als einer der führenden deutschen Historiker der Nachkriegszeit. Seine Habilitationsschrift „Der Faschismus in seiner Epoche“ (1963) ist noch heute ein Standardwerk. Als einer der ersten warf er die Frage auf, was den Nationalsozialismus ausgelöst hat. Dabei brach er mit der im Kalten Krieg maßgeblichen Totalitarismustheorie, die Kommunismus und Faschismus als Unterdrückungssysteme gleichsetzte. Er erkannte dem Nationalsozialismus eine besondere Qualität als Herrschaftsform zu – als Teil der gesamteuropäischen Geschichte.

Ein Lebenswerk des Denkens

Die Studie verschaffte Nolte, der ursprünglich wie sein Vater im Schuldienst arbeitete, große Anerkennung. Als Seiteneinsteiger bekam er einen Lehrauftrag für Neue Geschichte an der Universität Köln und später einen Lehrstuhl in Marburg. 1973 wechselte er an die Freie Universität Berlin, wo er bis zu einer Emeritierung 1991 am Friedrich-Meinecke-Institut lehrte. In den Hochzeiten des Historikerstreits wurden seine Seminare immer wieder durch Protestaktionen von Studenten gestört.

Verbittert habe ihn die Auseinandersetzung nicht, sagte er 2006 der Tageszeitung „Die Welt“. Schließlich verstehe er sich streng genommen auch nicht als Historiker, sondern als Geschichtsdenker. „So möchte ich gesehen werden. Und ich glaube, dass mein Lebenswerk, wenn es als Ganzes wahrgenommen wird, diese Bezeichnung rechtfertigt.“ (ac/dpa)