Berlin. Die Autorin Cornelia Funke lebt seit mehr als zehn Jahren in den USA. Ein Gespräch über das Verlassen der Heimat und den Neubeginn.

„Wer, bitte, zieht als Opa noch nach Amerika?“, heißt es in „Fabers Schatz“, dem neuen Kinderbuch von Bestsellerautorin Cornelia Funke („Tintenherz“), die – in Dorsten geboren – bis 2005 in Hamburg lebte und dann nach Los Angeles zog. Thomas Andre sprach mit Cornelia Funke (57) über das Leben in der Ferne.

Geht so etwas besonders gut aus der Ferne: sich an eine frühere Heimat zu erinnern?

Cornelia Funke: Ja, in mancher Hinsicht schon. Ich sage oft, dass ich sehr viel deutscher geworden bin, seit ich in Los Angeles lebe. Erst in der Auseinandersetzung mit einer anderen Kultur wird einem wirklich bewusst, woher man kommt.

Das Thema Heimat und Verlust der Heimat ist ja sehr aktuell.

Funke: Ich bin ja aus freiem Entschluss eine Weltbürgerin (ich wünschte, es gäbe so einen Pass!). Es muss anders sein, wenn Gewalt, Hunger und Unterdrückung einen aus der Heimat vertreiben. Ich glaube, wir alle können uns nur schwer vorstellen, wie man mit solchem Schmerz und solcher Entwurzelung lebt. Und mit dem Gefühl, nicht unbedingt willkommen zu sein. Jedes Land, in das ich komme, empfängt mich mit offenen Armen. Wie anders muss es sein, wenn man eigentlich zu Hause bleiben möchte, aber nicht kann? Wie ist es möglich, mit dem Schmerz irgendwo anzukommen und sich erneut zu Hause zu fühlen?

Sie leben seit mehr als zehn Jahren in L.A.? Wie ist Ihr Alltag?

Funke: Das Meer gehört zum Alltag dazu. Das Meer, die Berge, die wilden Schluchten von Los Angeles … Die Wildnis, die in dieser Riesenstadt dennoch überall spürbar ist, fasziniert und fesselt mich immer noch. Gestern habe ich nur einen Kojoten, ein Reh und drei Falken gesehen. Aber da kommen leicht Kormorane, Pelikane und Delfine hinzu.

Wildnis?

Funke: Die gibt es hier nämlich noch. 25 Prozent der Landfläche sind geschützt, soweit ich weiß, in verschieden streng geregelten Stufen, und es ist für mich als Europäerin immer noch unglaublich, dass man acht Stunden Auto fahren kann, ohne eine menschliche Ansiedlung zu sehen. Man begreift Natur hier so leicht als etwas nicht Menschengemachtes und kann so viel leichter verstehen, wie überwältigend und bedrohlich sie unseren Vorfahren oft erschien. Und wie magisch.

Was macht den American Way of Life so attraktiv?

Funke: Ich liebe die Freundlichkeit und Hilfsbereitschaft hier, den Optimismus, die Bereitschaft, dankbar zu sein für das, was man hat, und den Willen, zu verändern, was einem nicht gefällt. Ich liebe es, dass hier jeder von irgendwoher kommt, dass Amerika sich, wie Australien oder Kanada, durch Immi­gration definiert, auch wenn das einigen nicht gefällt.

Wie oft sind Sie in Europa? Kommen Sie wieder zurück?

Funke: Ich bin jedes Jahr drei- bis viermal in Europa. Wir haben eine Wohnung in London, die unser europäisches Zuhause ist, und ich liebe es, Zeit in der Alten Welt zu verbringen. Ob ich jemals zurückkomme? Ich habe gelernt, dass man solche Dinge nicht vorhersagen kann.

An was arbeiten Sie derzeit?

Funke: Ich arbeite inzwischen immer an mehreren Projekten gleichzeitig. Da ist zuerst einmal „Reckless“, Buch vier – Arbeitstitel: „Die Inseln der Füchsin“. Es ist in Japan angesiedelt. Dann bin ich 15 Kapitel weit im nächsten „Tintenbuch“, das „Die Farbe der Rache“ heißt, arbeite an einer Kurzgeschichte fürs Günter-Grass-Haus und an einem Projekt mit Guillermo del Toro.