Washington . Seit 1945 arbeitet Carmen Dell’Ofrice als Model. Heute gilt sie als das älteste Model der Welt. Ihre Schönheitstipps sind legendär.

Von wegen Auslaufmodell. Wenn es einen lebenden Beweis dafür gibt, dass die Modebranche kein Job mit Verfallsdatum sein muss, dann ist sie es: Carmen Dell’Orefice. Die Frau, die mit Hartnäckigkeit, Charme, guten Genen und tüchtigen Schönheitschirurgen seit Jahrzehnten dem Jugendfetisch auf dem Laufsteg erfolgreich trotzt. Die Frau, nach der Calvin Klein seinen Parfümverkaufsschlager „Eternity“ genannt haben könnte – Ewigkeit. Am heutigen Freitag wird das älteste noch aktive Model der Welt, das von Foto-Granden wie Irving Penn, Cecil Beaton, Horst P. Horst und Richard Alvedon verewigt und von Salvador Dali gezeichnet wurde, 85 Jahre alt.

Ihre ersten Jobs vor der Titelbildkamera hatte die 1945 in einem Schulbus in New York entdeckte Tochter ungarisch-italienischer Herkunft, da lag Nachkriegsdeutschland noch frisch in Trümmern. 70 Jahre später ist die Frau mit den weißen Haaren und den Maßen 91 – 66 – 99 immer noch blendend im Geschäft mit dem schönen Schein, indem zuletzt Silver-Age-Damen wie Charlotte Rampling, Cathérine Deneuve, Jessica Lange und Jane Fonda für Furore sorgten.

Im nächsten Jahr erscheint ein Film über das enzyklopädisch üppige Leben der Carmen Dell’Orefice. Arbeitstitel: Ein Werk in Arbeit. Wie schafft man das?

Carmen Dell’Orefice hat 1985 einen Ratgeber über die ewige Frage veröffentlicht, wie Schönheit am besten bis in hohe Alter gerettet werden kann. Das Buch ist zwar längst vergriffen, aber die wichtigsten Geheimnisse aus ihrem optischen Reifungsprozess, der nie zu enden scheint, haben auch so überlebt: Melkfett, Silikon und viel, viel Sex. Ersteres für „eine weiche Haut“. Das zweite Mittel, Dell’Orefice experimentierte schon vor 50 Jahren damit und warnt vor Botox, gegen Falten. Sex gehört für die 1,80 Meter große Mutter einer 60-jährigen Tochter zum Leben „wie das Atmen“. Carmen Dell’Orefice war vor langer Zeit drei Mal verheiratet. Über die Zahl ihrer Liebhaber seither schweigt sie standhaft.

In Interviews gibt die mit Selbstironie und entwaffnendem Humor ausgestattete New Yorkerin („Ab einem gewissen Alter ist es sowieso ratsam, den BH anzubehalten“ ) gern die weise Alte, die den kükenhaften Geschöpfen der Modebranche mit dezenten Ratschlägen zur Seite springt: Macht euch einzigartig! Habt Vertrauen in euch! Lasst euch nicht vom egomanischen Modebetrieb auffressen und tyrannisieren! Leicht gesagt, wenn man von Natur aus gertenschlank ist und einen reibungslos funktionierenden Stoffwechsel besitzt, der selbst mit regelmäßigen Heißhungerattacken auf Eiscreme spielend fertig wird; Dell’Orefices große, kleine Schwäche.

Noch weiter vor der Kamera

Die andere: der Umgang mit Geld. In den 80er-Jahren verspekulierte sie sich an der Börse. Um wieder liquide zu werden, ließ Dell’Orefice ihre 50er-Jahre Fotos aus Vogue und andern Magazinen bei Sotheby’s versteigern.

Wirklich Schiffbruch erlitt sie 2008. Als das raffinierte Schneeballsystem des New Yorker Megabetrügers Bernie Madoff aufflog, bis dahin ein enger Freund des Seniorenstarlets, und weltweit Tausende Anleger Einlagen von knapp 65 Milliarden Dollar verloren, waren auch sämtliche Ersparnisse von Carmen Dell’Orefice futsch. „Ich würde ihn an den Zehen aufhängen, wenn ich könnte“, soll sie über Madoff später gesagt haben. Der finanzielle Ruin war es, der die von Freunden und Fans liebevoll „Silberlöwin“ genannte Ikone zurück ins Modegeschäft gebracht hat.

Solange der liebe Gott sie lässt, will sie weiter auf den Laufsteg und vor die Kamera. Und wenn der letzte Tag irgendwann anklopft, dann bitte mit Stil: „Wenn ich sterben muss, dann in meinen High Heels.“