Berlin. Auch nach 50 Jahren Karriere ist Reinhard Mey bestens im Geschäft, nun mit seinem 27. Album. Einen Preis für den Erfolg hat er gezahlt.

Schnelllebige Musikbranche? Nicht immer, wie ein Blick in die deutschen Albumcharts zeigt. Da ist Udo Lindenberg (70) an der Spitze, mit seinem neuen Album „Stärker als die Zeit“. Und Reinhard Mey (73), der mit seinem inzwischen 27. Album „Mr. Lee“ auf dem dritten Platz eingestiegen ist. „Kometenhaft“, schrieb das Musikblatt „Rolling Stone“ voller Bewunderung.

Beide Eminenzen, Lindenberg und Mey, waren irgendwie immer da und immer grundverschieden. Lindenberg war stets der Rebell, galt als „cool“, und ist es immer noch. „Cool“ sagte man in Zusammenhang mit Mey nie. „Liedermacher“ nennt man seine Spezies, und meint damit so etwas wie einen Antirockstar.

Mey, der Menschenversteher, die milde Stimme der aufmüpfigen 70er-Jahre. Statt Bombast gab es bei ihm Befindlichkeiten, statt großer Gesten kleine Geschichten, immer mit Moral. Reinhard Mey, das ist der mit der Gitarre, der mit der randlosen Brille, der mit dem „Über den Wolken“-Hit, den man einst bei Klassenfahrten am Lagerfeuer sang. 50 Jahre dauert seine Karriere schon an. Warum gönnt er sich keine Ruhe, was treibt ihn an?

Freude und Kummer liegen stets nah beieinander

„Solange ich denken kann, habe ich mir gewünscht, Musik zu machen“, sagt er im Gespräch mit dieser Redaktion. „Wie könnte ich jetzt, da ich es darf, damit aufhören? Jetzt, wo mein Erinnerungsschatz, mein größter Reichtum, überbordet und der Einfallsquell sprudelt? Ich mache Musik, ich denke, ich schreibe. Klar, das ist Arbeit, aber auch Lust und Glück, das bedeutet für mich, meinen Lebensspätsommer zu genießen.“

Einen Preis für den Erfolg hat auch er bezahlt. „Zu Beginn war ich kaum zuhause, so dass meine erste Ehe darüber zerbrach. Ich habe daraus gelernt, habe begonnen, meine Prioritäten zu setzen und mein Leben bewusster zu planen.“ Mit seiner zweiten Frau ist er seit fast 40 Jahren verheiratet. Und er bereut nichts, betont er. Bedauern schon. Da ist die Sache mit seinem alten Lateinlehrer Dr. Brand, der damals von der Klasse – auch von ihm – schikaniert wurde. Später erfuhr er, dass Brand als Homosexueller im KZ gesessen hatte. Bei einem Besuch der Gedenkstätte Belower Wald habe er den Entschluss gefasst, Brand ein Lied zu widmen, „ihn posthum um Verzeihung zu bitten“.

Freude und Kummer, Glück und Schmerz sowie Erneuerung, das seien die Essenzen seines Albums. „Ich freue mich, dass ich heil und unversehrt bis hierhergekommen bin, ich freue mich, dass heute die Sonne scheint“, sagt er. Seine wichtigste Erkenntnis: „Man muss immer wieder neu beginnen. Nichts ist für alle Zeit gewonnen.“ Überstanden hat er einiges: Schicksalsschläge, Anfeindungen, Spott – und zahlreiche Bühnenpannen: „Ich hatte 51 Fans in einem Saal für 1500. Ich hatte eine einstürzende Wand, manch abgerauchte Musikanlage, falschen Feueralarm und drei Löschzüge im Saal, Scheinwerfer sind explodiert. Es gab sogar eine Entbindung. Aber nie ist was Schlimmes passiert.“ Ohnehin sei nichts so schlimm, wie man es sich in seinen Ängsten ausgemalt hat.

Das aktuelle Musikgeschehen verfolgt er genau. Xavier Naidoo? „Schätze ich als Musiker.“ Helene Fischer? „Hervorragende Sängerin, hochprofessionell und leistungsbereit.“ Rammstein? „Interessante Show, aber nicht meine Musik.“

Er tankt Kraft bei einem Lauf durch die Wiese

Bei sozialen Medien wie Facebook allerdings will er nicht mitmischen. „Das Ausbreiten von Alltäglichkeiten mag ich nicht.“ Seinem Publikum begegne er lieber leibhaftig auf Tour. Im September 2017 geht es wieder los.

Was ihm Kraft gibt? „Ein Morgenlauf durch Wiesen und Felder, die Nase im Wind, die Freiheit spüren, weit und breit kein Termin in Sicht.“ Und seine Heimatstadt, „meine alte Liebe, vertraut seit 1942“, der er den Song „Heimweh nach Berlin“ gewidmet hat. „Berlin ist bärenstark und mit allen Wassern gewaschen. Berlin rappelt sich immer wieder auf. Berlin schafft das.“ Klingt, als spreche er da auch von sich selbst.