Die Musikwelt trauert um Lemmy Kilmister. Der Musiker starb in der nacht zu Dienstag, vier Tage nach seinem 70. Geburtstag.

Er dürfe bitte niemals Blut spenden, hatte ein Arzt Lemmy schon vor Jahrzehnten gesagt. Das Blut, das in seinen Adern fließe, würde andere Menschen vergiften. Damals hatte Lemmy Kilmister seine härtesten Zeiten schon hinter sich, hatte als Mitglied der Spacerock-Band Hawkwind so manches Mal orientierungslos auf der Bühne gestanden und sich mit Ausnahme von Heroin so ziemlich jede Droge reingezogen. Auch als Frontmann seiner Band Motörhead nahm er nur langsam den Fuß vom Gas. Der ganze Alkohol diene dazu, ihn zu konservieren, pflegte Lemmy mit einem Grinsen zu sagen, wenn er zwischen zwei Kippen zur geliebten Jack-Daniel’s-Cola-Mischung griff. Und tatsächlich schien es, als sei der Mann unsterblich. Die Welt des Rock ’n’ Roll ohne Lemmy? Undenkbar! Und doch: Vier Tage nach seinem 70. Geburtstag, zwei Tage nur, nachdem er die Krebsdiagnose bekam, ist Lemmy in der Nacht zu Dienstag in Los Angeles gestorben.

Klar, man hätte es ahnen können. Schon 2013 in Wacken musste er ein Konzert abbrechen, in der Folge fielen immer wieder mal Auftritte aus, Diabetes zwang ihn zu einer radikalen Ernährungsumstellung (Wodka/O-Saft statt Whisky/Cola). Auf der letzten Tour, die Motörhead noch am 9. Dezember in die ausverkaufte Sporthalle Alsterdorf führte, sah Lemmy zum ersten Mal wirklich fahl und zerbrechlich aus. Trotzdem hoffte wohl jeder, dieser Rock ’n’ Roll-Outlaw würde dem Tod erneut den Mittelfinger zeigen. Schließlich hatte er noch im Sommer dem Fachmagazin „Deaf Forever“ erklärt, er sei voller Energie und keineswegs „geläutert“. Religion? „Alles Pferdescheiße!“ Ein Leben nach dem Tod? „Keine Ahnung. Vielleicht läuft die Party des Jahrhunderts. Ich habe nichts dagegen, eventuell überrascht zu werden – aber ich kann warten.“

Das 22. Studioalbum kletterte direkt an die Spitze der deutschen Charts

Es war ein amüsanter, manchmal auch sarkastischer Lemmy, der sich da präsentierte. Gerade hatte Motörhead mit „Bad Magic“ das 22. Studioalbum abgeliefert und sich gleich mal an die Spitze der deutschen Charts gesetzt.

Doch es gab auch andere Phasen: Vor allem in den 90ern war Motörhead in einer kommerziellen Krise. Nicht dass die Alben schlechter gewesen wären als früher, zu den Zeiten von „Overkill“, „Bomber“ oder „No Sleep ‘Til Hammersmith“, dem wohl besten Live-Album aller Zeiten, aber der Trendwind wehte gerade in eine andere Richtung. Und wenn Lemmy etwas nicht war, dann ein Trendsetter. Mit gnadenloser Sturheit ging der Mann mit den Cowboystiefeln und dem Eisernen Kreuz um den Hals seinen Weg – und lebte in dieser Zeit vor allem von der Treue seiner deutschen Fans.

Nach der Jahrtausendwende allerdings war Motörhead plötzlich jedermanns Liebling. Die Feuilletons feierten Lemmys Kompromisslosigkeit und seine coolen Sprüche, und überhaupt war es einfach tröstlich, dass es da draußen jemanden gab, der sich unter keinen Umständen verbiegen ließ. Der seine Sammlung mit Weltkriegs-Devotionalien nicht aufgab, weil sie politisch nicht korrekt sein könnte. Der nicht leiser spielte, weil es manchem bei den tatsächlich ohrenbetäubenden Motörhead-Konzerten zu laut war. Und der sich schon gar nicht in seine Musik reinreden ließ. Wo Motörhead draufstand, war bis zuletzt Motörhead drin. Unkopierbar, wild, rau.

In vollen Zügen leben, nichts bereuen, das war Lemmys Motto. „I don’t wanna live forever“, eine Zeile aus „Ace of Spades“, knurrte er bei jedem Konzert ins Mikro. Musste er auch nicht.