Berlin. Bruno Ganz spielt im neuen „Heidi“-Kinofilm den Almöhi. Im Interview spricht der 74-Jährige über den Heidi-Mythos und die Dreharbeiten.

Es ist das Gipfeltreffen von zwei großen Schweizern: Der Schauspieler Bruno Ganz hat sich mit Rauschebart und gütigem Blick in den Almöhi, den berühmten Alpen-Großvater von Heidi verwandelt. Die Neuverfilmung des Bestsellers von Johanna Spyri kommt am 10. Dezember in die Kinos. Uwe Killing sprach mit Bruno Ganz (74) über den Heidi-Mythos und die Dreharbeiten auf der Alm.

Als Almöhi melken Sie eine Ziege. Gehören die Hände in der Großaufnahme zu Ihnen, oder wurden Sie gedoubelt?

Bruno Ganz: Nein, das bin ich. Melken ist mir nicht ganz neu, wobei es bei Ziegen einfacher ist als bei Kühen.

Sie sind in Zürich groß geworden, woher kommt diese Fähigkeit?

Ganz: Alle in meiner Familie waren Bauern. In den Schulferien wurde ich regelmäßig aufs Land geschickt. Als Stadtkind wurde man da keineswegs anders behandelt. Man saß nicht spielend unterm Apfelbaum, sondern wurde wie die anderen Kinder zur Arbeit eingeteilt: zum Mähen, Melken und allem, was erledigt werden musste.

Haben Sie lange überlegen müssen, ob Sie den Almöhi spielen wollen?

Ganz: Nein. Denn als Schweizer konnte ich das eigentlich gar nicht ablehnen. Ich habe jetzt das passende Alter, und das muss jetzt einfach sein. Fertig aus.

Haben Sie als Junge das „Heidi“-Buch von Johanna Spyri gelesen?

Ganz: Ehrlich gesagt, weiß ich das gar nicht mehr so genau. Aber der Mythos Heidi ist in unserem Land einfach so allgegenwärtig, dass man das zwangläufig verinnerlicht hat. In der Erinnerung ist Heidi wie das Einatmen von Schweizer Luft.

Worin lag für Sie die schauspielerische Herausforderung?

Ganz: Ich habe mir zunächst die Verfilmung aus den Fünfzigerjahren angeschaut. Die ist immer noch schön, aber etwas holzschnittartig. Und ich fand es überzeugend, dass die Drehbuchautorin sehr viel stärker auf den Originalroman zurückgegangen ist. In vielen Details wird von der Kargheit und den Beschränkungen oben auf der Alm erzählt – ein Leben, das Mitte des 19. Jahrhunderts unglaublich hart war.

Ihr Almöhi ist sehr viel wortkarger als der Ihres Landsmannes Heinrich Gretler im alten „Heidi“-Film. Haben Sie je in einer großen Kinorolle weniger sprechen müssen?

Ganz: Wahrscheinlich nicht. Doch als Schauspieler wünscht man sich so etwas: eine Geschichte vor allem mit den Augen zu erzählen, weitgehend ohne expressive Gesten und Sprache auszukommen. Also: etwas ganz einfach, aber stark spielen. Wenn ich den Drehort auf der hoch gelegenen Alm betreten habe, hat sich meine Körperhaltung fast wie von selbst geändert. Die letzten zwanzig Minuten musste das Team mit dem kompletten Equipment zu Fuß zurücklegen, und da bekommt man eine Ahnung davon, was es bedeutete, sich in dieser Einsamkeit ohne technische Hilfsmittel durchschlagen zu müssen. Der Dreh war eine große physische Anstrengung.

Können Sie ein derart extremes Einsiedlertum nachfühlen?

Ganz: Seinen Zustand kann ich schon sehr gut nachempfinden, und da ist ein Eindringling wie dieses muntere Kind zunächst einmal eine erschreckende Störung. Ich bin auch ein Mensch, der nicht den ganzen Tag kommunizieren muss. Ich kann sehr still und eigenbrötlerisch sein. Ich brauche das sogar.

Was ist denn Ihr persönlicher Sehnsuchtsort?

Ganz: So etwas Starkes wie die Berge für Heidi gibt es bei mir nicht. Ich komme durch meine Arbeit viel herum, aber in den Ländern, wo ich die Sprache nicht beherrsche, ergreift mich bald das Heimweh. Da sehne ich mich nach etwas Vertrautem. So ist mir das gerade in Mazedonien, wo ich gedreht habe, ergangen. Die Schweiz ist meine Heimat. So vehement ich in meinen frühen Wanderjahren da wegwollte, umso konfliktfreier ist das Verhältnis mit zunehmendem Alter geworden. Ich bin von meiner Mentalität durch und durch Schweizer geblieben, auch wenn ich viele Jahre in Berlin gelebt habe.

Sie sind einer der verdientesten deutschsprachigen Theaterschauspieler, haben aber vor Jahren erklärt, nur noch Kinofilme drehen zu wollen. Warum?.

Ganz: Das Theater, dem ich so viel verdanke, ist mir irgendwie still und leise abhandengekommen. Was soll ich machen?