Washington. Geständnis im Frühstücksfernsehen: Charlie Sheen hat seine HIV-Infektion öffentlich gemacht. Er fürchtet nun schwere Konsequenzen.
Am 7. November 1991 trat ein schwarzer Hüne in Amerika vor die Fernsehkameras und tat mit wenigen Sätzen mehr für die Aids-Aufklärung als sonst vor ihm ein einzelner Mensch: Earvin „Magic“ Johnson. Der Basketball-Star der Los Angeles Lakers bekannte sich im Alter von 32 Jahren zu seiner HIV-Infektion. Ein Moment, der das Land erschütterte und eine Welle der Anteilnahme auslöste. Der Hochleistungssportler räumte mit dem Vorurteil auf, nur Homosexuelle, Drogenabhängige und Prostituierte könnten sich mit dem Virus anstecken.
Ob Charlie Sheen auf so viel Nachsicht zählen darf, ist noch nicht ausgemacht.
Als der zeitweise bestbezahlte Seiernschauspieler Amerikas am Dienstagmorgen in der quotenstärksten Frühstücksfernsehshow den gleichen Versuch unternahm, stellte sich beim Zusehen Unwohlsein ein.
Ein genialer Wahnsinniger
Und das nicht, weil Charlie Sheens leicht verstotterte Beichte, sich vor vier Jahren mit dem Aids-Virus angesteckt zu haben, eine große Überraschung gewesen wäre. Sein Hang zu selbstzerstörerischem Drogen-Konsum und riskanten sexuellen Exzessen füllt seit Jahren die Spalten der Klatsch-Magazine.
„Irritierend“ fanden manche Twitter-Nutzer noch während der Sendung, dass der ehemalige Star der Seifen-Oper „Two and a Half Men“ auf Nachfrage von Moderator Matt Lauer zugab, trotzdem weiter ungeschützten Beischlaf mit Risiko-Partnerinnen gehabt zu haben. „Ich habe schlechte Entscheidungen getroffen, das geht auf mich“, sagte Sheen und schmunzelte verlegen. Aber: Alle Sex-Partnerinnen hätten von seinem Zustand gewusst. „Ich habe ihnen vertraut, ich habe niemanden gefährdet.“ Dass er das Virus übertragen haben könnte, sei jedoch „ausgeschlossen“, sagte Sheen.
Sein Arzt Robert Huizenga, der mit ihm Studio saß, relativierte das später und sprach von einem „unglaublich geringen Risiko“. Sheen werde seit der Diagnose mit einem Medikamenten-Cocktail aus täglich vier Tabletten behandelt, die das HI-Virus unterdrücken. Zurzeit sei die Infektion im Blut seines Patienten nicht mehr feststellbar, erklärte der Doktor.
Sheens Geständnis zur besten Sendezeit kam nicht aus freien Stücken. Seit Monatsbeginn geisterte auf dem Internet-Portal Radar Online die Spekulation herum, dass ein HIV-infizierter Hollywood-Star mehrere prominente Frauen seit Jahren durch ungeschützten Sex in Gefahr gebracht haben könnte.
Um dem Tratsch-Organ „National Enquirer“ zuvorzukommen, das heute (Mittwoch) die Skandalgeschichte auf mehreren Seiten ausbreiten wird, entschied sich der Sohn von Hollywood-Mime Martin Sheen auf Drängen seiner Berater für den Vorwärtsgang. NBC. Today Show. Amerikas Morgenmagazin Nr.1.
Dort stilisierte sich der 50-Jährige als reuiges Opfer einer Erpressungswelle. Sheen bestätigte den Fall einer Prostituierten, die nach dem Schäferstündchen im Badezimmer des Multi-Millionärs dessen HIV-Medikamente fotografierte, um ihn damit unter Druck zu setzen.
Mehrere Frauen, mit denen er Sex hatte, hätten ihn über die Jahre um rund zehn Millionen Dollar gebracht. Aus Angst vor unliebsamer Publicity willigte Sheen in außergerichtliche Vergleiche ein. Betroffene sagten dagegen dem Promi-Portal „tmz“, der Schauspieler habe sich „Verschwiegenheit erkauft“. Durch sein öffentliches Bekenntnis habe er sich „aus diesem Gefängnis“ befreien wollen, sagte Sheen.
30.000 Dollar pro Nacht
Ausgestanden ist die Sache damit aber noch nicht. In 35 Bundesstaaten steht die Weitergabe von HIV durch Sex ohne Kondome unter Strafe. Sheen rechnet nach eigenen Worten mit mehreren Klagen.
Sheens Privatleben nährt seit Jahren das Gewerbe der Paparazzi und Gesellschaftsreporter. Der Kalifornier hatte sich nach schweren Zusammenbrüchen mehrfach in Suchtkliniken einweisen lassen. Fotos von ihm nach Saufgelagen und Kokain-Trips im Konflikt mit der Polizei sind das „ewige Murmeltier“ in den Gazetten. Drei Eheversuche (mit Donna Peele nach nur einem Jahr 1996, mit Denise Richards 2002 und Brooke Mueller 2008) brach der fünffache Vater vorzeitig ab. Seine Vorliebe für Porno-Starlets und Prostituierte, denen er bis zu 30.000 Dollar pro Nacht gezahlt haben soll, ist in Hollywood-Kreisen Allgemeingut.
Der erste Joint mit 11
Biographen führen sein Achterbahnfahrt-Leben auch auf die Kindheit zurück. Sheen war 10, als ihn sein Vater Martin mit zu den Dreharbeiten des preisgekrönten Vietnams-Höllenritts „Apokalypse Now“ auf die Philippinen holte. Danach ging es bergab. Erster Joint mit 11. Erste Prostituierte (bezahlt mit Papas Kreditkarte) mit 15. Von der Schule geworfen mit 17. Erst mit 21 wendete sich das Blatt.
Durch Oliver Stones Oscar-prämierten Anti-Kriegs-Film „Platoon“ und später an der Seite von Michael Douglas im Finanzhai-Epos „Wall Street“ wurde Sheen zum Star. Die Fernsehserie „Two and a Half Men“ machte den als Carlos Irwin Estevez geborenen Mimen zwischen 2003 und 2011 zum zeitweise bestbezahlten Hollywood-Akteur. Für die Rolle des sprücheklopfenden Machos Charlie Harper bekam er vier Emmy- & zwei Golden-Globe-Nominierungen und zwei Millionen Dollar Gage - pro Episode. Sheens Drogen-Eskapaden, erratische Auftritte in Talkshows und ein Privatkrieg gegen den Show-Produzenten Chuck Lorre sorgten am Ende für seinen Rauwurf.
Nach der Fernsehbeichte bei NBC will Sheen sein Leben neu ordnen und sich als Sprachrohr in der Aids-Aufklärung betätigen. Harte Drogen nehme er nicht mehr. Und vielleicht gelinge es auch irgendwann, dem Alkohol abzuschwören. Charlie Sheen: „Ich bin ein Überlebenskünstler.“