Washington. „Independence Day“, „Godzilla“, „The Day After Tomorrow“. Roland Emmerich kann alles. Außer subtile Filme drehen. Auch nicht mit 60.

Im Weißen Haus zu sitzen und dabei zuzusehen, wie der Amtssitz des amerikanischen Präsidenten in die Luft gesprengt wird, ist nicht vielen Menschen vergönnt. Roland Emmerich hat es erlebt. 1996 lud sich Bill Clinton den Macher von „Independence Day“ zur Privatvorführung auf die zum Kino umgebaute Kegelbahn an der Pennsylvania Avenue in Washington ein. Der Hausherr musste mit fortlaufender Dauer des Katastrophenspektakels dringend auf die Toilette. Aber er wartete geduldig die bombastische Szene ab, als Außerirdische Amerikas gute Stube in Schutt und Asche legen.

Gewinnt Clintons Gattin Hillary in einem Jahr die Präsidentenwahl, könnte der gebürtige Baden-Württemberger in seiner Wahlheimat Los Angeles wieder eine Privateinladung im Postkasten finden. Zwei Jahrzehnte nach der ins Sternenbanner gehüllten Untergangsfantasie, die weltweit 800 Millionen Dollar eingespielt hat, kommt die Fortsetzung in die Kinos: „Independence Day: Resurgence“ – die Wiederkehr.

Emmerich, ein eifriger Anhänger und Unterstützer der Demokraten, der eigens wegen Barack Obama die amerikanische Staatsbürgerschaft annahm, hat sich diesmal von den Drehbuchautoren eine Präsidentin ins Oval Office schreiben lassen. Er geht halt mit der Zeit. Auch persönlich. Dienstag wird das „Spielbergle aus Sindelfingen“ 60 Jahre alt.

Sohn eines Rasenmäher-Fabrikanten

Roland Emmerich kann alles – außer subtil. Wenn in Hollywoods Traumfabrik Hochhäuser in sich zusammenfallen, wenn Mutter Erde von Beben, Monsterwellen, Kometen, Eisbergen, Riesenechsen oder übelmeinenden Aliens heimgesucht wird, steckt oft der Sohn eines Rasenmäher-Fabrikanten aus dem Schwäbischen dahinter. Deutschlands (neben Wolfgang „Poseidon“ Petersen) erfolgreichster Spezialist für Leinwand-Desaster hat mit „Universal Soldier“, „Godzilla“, „The Day After Tomorrow“, „2012 – Das Ende der Welt“, „White House Down“, „Stargate“ und „Der Patriot“ über drei Milliarden Dollar eingespielt. Und ein ums andere Mal die Tiefgang vermissende Filmkritik übertrumpft: Auf Überwältigung angelegtes Popcorn-Kino, das mit immer neuen, staunenswerten, am Computer zusammengepixelten Bilderwelten kommt, verkauft sich wie geschnitten Brot.

Schon mit seiner Abschlussarbeit an der Münchner Filmschule, dem Science-Fiction-Film „Das Arche Noah Prinzip“, sorgte Emmerich 1983 für Aufsehen. Der Streifen kostete über eine Million Mark. Anfang der 90er-Jahre ging der Visionär in die USA. Mit Fleiß, Talent und dem Kostenbewusstsein der sprichwörtlichen schwäbischen Hausfrau erarbeitet er sich den Status des Unberührbaren.

Roland Emmerich ist einer der wenigen Regisseure, denen die goldene Lizenz gehört: das Recht, den Endschnitt ihrer Filme, den sogenannten Final Cut, allein bestimmen zu dürfen. Ihm werden bedenkenlos zweistellige Millionenbudgets anvertraut. „Die Studiobosse wissen, dass sie jeden Cent doppelt und dreifach zurückbekommen“, schreibt die „Los Angeles Times“. Solange es jedenfalls um Rumsbums, Aliens und das Ende der Welt geht.

Schablonen, die Emmerich, der sein Unternehmen gemeinsam mit seiner Schwester Ute führt, zwischendurch immer wieder zu durchbrechen versucht. In „Anonymous“ verfolgte er die filmische These, William Shakespeare habe seine Bücher gar nicht selbst geschrieben. Oh, Lord – der Abstecher ins Literarische wurde ein Flop. Mit „Bully“ Herbig will Emmerich demnächst die Geschichte der Familien von Günter Wetzel und Peter Strelzyk neu verfilmen, die 1979 mit einem Heißluftballon aus der DDR ins oberfränkische Naila geflohen waren.

Mit „Stonewall“ setzt er der Schwulen-Bewegung ein Denkmal

Auch sein neuer Film, der ab dem 19. November in Deutschland zu sehen sein wird, gehört in die Kategorie „Nische“. Mit „Stonewall“ setzt der offen homosexuell lebende Emmerich dem Geburtsort der Schwulenbewegung an der amerikanischen Ostküste ein Denkmal. In der Kneipe „Stonewall Inn“ im New Yorker Stadtteil Greenwich Village kam es im Sommer 1969 zu Polizeirazzien. Schwule und Lesben, vor allem Afroamerikaner und Latinos, wehrten sich gegen die Willkür.

Der Aufstand war die Geburtsstunde der internationalen Bewegung für Gleichberechtigung unterschiedlicher sexueller Orientierungen. Für seine Rekonstruktion der Ereignisse hat Emmerich viel Schimpfe aus der Szene erhalten: zu viele Klischees. Kritik, die er seit „Independence Day“ kennt und inzwischen gelassener erträgt. Die nächste Einladung ins Weiße Haus kommt bestimmt.