Melbourne. Dank Helfern kann der chinesische Regimekritiker Ai Weiwei nun doch sein Kunstwerk bauen. In Berlin erscheint der Mann wie ein Star.

Er kommt, wie er immer kommt. Das Smartphone im Anschlag wie einen Revolver. Bevor Ai Weiwei überhaupt spricht, erst ein Selfie. Noch eins. Noch eins. Irgendwie ist das Ding in seiner Hand ein Schutz, schiebt eine Distanz zwischen ihn und das Publikum. Wie ein Star schreitet er bedächtig über den roten Teppich, den es gar nicht gibt in der Universität der Künste (UdK). Ai Weiwei hat noch ein zweites Handy. Schließlich nimmt er die Fragen der Journalisten auf. Auf der einen Schutzhülle sieht man ein Gesicht, dort, wo der Mund ist, klebt ein Pflaster darüber. Der Chinese trägt ein eckiges Mao-Outfit, rundum blau, bis hin zu den Füßen, die in Espandrillos stecken. Der Chinese weiß halt, wie man sein Publikum bedient.

Insgesamt 100 Studenten haben sich beworben, 16 sind dabei

Jetzt also ist er da, viel entspannter sieht er aus als noch vor Wochen. Er beginnt Ende des Monats seine dreijährige Gastprofessur an der UdK, finanziert von der Einstein-Stiftung. Das Angebot war ihm schon 2011 während seiner Inhaftierung durch die chinesischen Behörden angeboten und über viele „Kanäle und Ebenen“ aufrechterhalten worden. Für den nächsten Sonntag ist die Auftaktveranstaltung „Kunst (lehren)“ angesetzt.

Seit August lebt der 58-Jährige nun in Berlin bei seiner Partnerin und seinem Sohn, der ihn an diesem Vormittag wieder einmal begleitet. In Peking war er neulich erst, vor gut einer Woche ist er zurück in Berlin. Doch hier hatte er sich die Wochen recht rar gemacht; einige Interviews gegeben, die viele politisch irritiert haben, weil es sich so anhörte, als ob er das chinesische Regime in Schutz nehmen würde. Es hagelte massive Kritik seitens chinesischer Bürgerrechtler. Doch er werde sich nicht, sagte er kürzlich, in Schablonen pressen lassen.

16 Studenten wird Ai Weiwei demnächst in seiner Klasse unterrichten. 100 hatten sich beworben. Die letzte Woche war er also damit beschäftigt, Gespräche mit den einzelnen Bewerbern zu führen. Über ihre „Träume, Ziele, Hoffnungen und über ihr Elternhaus“, all das will er wissen. Recht selten für einen großen Universitäts-betrieb. Es ist so, dass sich Ai Weiwei zuerst einmal ein Bild machen möchte, wie Studierende aus dem Westen überhaupt ticken, die ein Leben in Freiheit gewöhnt sind. Und was sie von der Kunst eigentlich wollen, wie politisch sie sind. In der Diktatur läuft vieles anders als in der Demokratie. Der Alltag wird bestimmt von repressiven Regeln, teilweise ist das Internet beschränkt, Instagram gesperrt, Google sowieso. Der regimekritische Künstler kann davon berichten, auch von der staatlichen Willkür. Er selbst saß 2011 für 81 Tage hinter Gittern – wegen angeblichen Steuerbetruges.

Genügend Legosteine für Ai Weiweis Aktion

Aber manchmal fällt es ihm auch schwer, Demokratie zu verstehen. Da will er für seine Ausstellung „Andy Warhol/Ai Weiwei“ in Melbourne Porträts von Bürgerrechtsaktivisten nachbauen – in Lego. Doch die Firma verweigert ihm die Lieferung der bunten Steine – mit Hinweis auf sein politisches Statement zum Thema Meinungsfreiheit. Ai Weiwei-Fans rufen daraufhin im Netz zu Spenden auf. Jetzt gibt es genug Legos. Hier in Berlin prasselt weiterhin viel auf ihn ein, all die Namen, der Universitätsbetrieb, nichts ist ihm vertraut. Selbst die Kommunikation über den Lehrbetrieb mit UdK-Präsident Martin Rennert hat ihn in ihrer großen Offenheit verblüfft, dass hat er so „noch nicht erlebt“. Vieles ist anders.

Am Ende des Auswahlverfahrens war er erstaunt darüber, erzählt er, wie viel die Studenten neben dem Studium noch arbeiten, dass sie im Durchschnitt rund 250 Euro Miete zahlen und mit 600 Euro im Monat klarkommen. Und meistens mit dem Rad fahren, weil auch beim BVG-Ticket gespart wird.

Noch mehr aber habe ihn verblüfft – und da straft er die Pisa-Studien Lügen – welch großes Wissen die jungen Menschen haben, welch gute Erziehung und ein breites Repertoire an Ausdrucksmöglichkeiten. Aussortiert wurden jene Bewerber, etwa ein Drittel, die ihm sagten, Kunst sei das Ziel. „Kunst ist nie das Ziel, sondern immer das Mittel“, meint er. Einige Studenten wollten von ihm wissen, was das Geheimnis seines Erfolges sei, um davon zu profitieren. Keine Chance. „Jeder muss doch seinen Weg gehen“, findet der Chinese.

Eine Bande wie bei "Ocean's Eleven"

Na ja, letztlich hat er sich für die jungen Menschen entschieden, die wie er auf „der Suche sind, gespannt auf etwas Neues“. Sie kommen nicht nur aus dem Bereichen bildende Kunst, auch Mode, Design und Medien sind dabei. Er sei, da lächelt er, „womöglich ein chaotischer Mensch“. Und ein wenig egoistisch sei er schon gewesen bei der Auswahl, „sie müssen kochen können und sich als Flüchtlingshelfer beteiligen. Schließlich wollen wir alle eine gute Zeit haben“. Ein bisschen sei das wie im Filmklassiker „Ocean’s Eleven“, eine kleine Bande, die zusammen eine Bank ausraubt. Klingt sympathisch und nach einem ziemlich erweiterten Kunstbegriff.

Konkrete Lehrinhalte? Ein Projekt werde sich auf jeden Fall mit dem Thema Flüchtlinge beschäftigen. Flüchtlinge gab es zu allen Zeiten unserer Geschichte, das ist sein Ansatzpunkt. Mit diesem Wissen „können wir besser verstehen, wie wir mit der Realität umgehen“, glaubt er. Da ist er in Berlin auf jeden Fall am richtigen Platz.