Berlin/Wien. In Pandemie und Homeoffice wurde sie zu jedermanns Lieblings - aber schon seit jeher hat die Jogginghose eine bewegte Geschichte. Wie sich das unauffällige Kleidungsstück zum Style-Piece gemausert hat.

Irgendwie passt ihr Name nicht mehr recht zu dem, was sie ist. Wann sie getragen wird. Und wie. Beim Freizeitlauf und Aufwärmen für Profisportler, wie Reclams Kostüm- und Modelexikon ausführt, kommt die klassische Jogginghose aus innen flauschig aufgerautem Baumwolltrikot mit Gummizug im Bund und Strickbund-Abschlüssen zwar noch zum Einsatz. Doch meistens wird sie heute ohne Fitness-Absicht getragen.

Die Jogginghose sei nicht mehr wegzudenken aus der Kleidungswelt, befindet die Wiener Modehistorikerin Regina Karner. Am Samstag, dem Internationalen Jogginghosentag, präsentieren manche Menschen sie mit besonderem Stolz und huldigen ihrer. „Weicher Oversize, ein den Körper nicht einengendes Kleidungsstück - sie sorgt für ein Kuschel-Gefühl“, sagt die Berliner Professorin für Modejournalismus, Diana Weis, über das Kleidungsstück.

Trainingsanzug aus elastischem Trikotstoff erstmals 1939

An den Start ging die Hose im Jahr 1939, als das französische Modeunternehmen Le Coq Sportif einen Trainingsanzug aus elastischem Trikotstoff auf den Markt brachte. Er wurde anfangs Sonntagsanzug genannt und verbreitete sich - quasi passend zu seinem Namen - zunächst eher gemütlich. „In den 1950ern waren die Trainingsanzüge weiterhin aus Baumwolle. Das Oberteil mit Zipper und die Hose mit Strickbündchen oder auch gerade geschnittenem Bein, der Bund oft mit Tunnel“, beschreibt Modehistorikerin Karner. „Wenn jemand sehr sportlich war, hatte er einen Trainingsanzug.“

Aktuell sei das das Kleidungsstück in den 1970ern geworden, heißt es im Kostüm- und Modelexikon. „Da waren die Hosen aus diesem schrecklichen Nylon, unangenehm zu tragen“, sagt Karner und lacht. „Aber sehr pflegeleicht. Man musste sie quasi nur einmal ausspülen und auswringen - fertig.“ In den 1980ern sei die Jogginghose zur Hochform aufgelaufen, als Fitness ein großes Ding gewesen sei und entsprechende Clubs eröffnet hätten, so die Modehistorikerin.

Die afroamerikanische Hip-Hop-Szene entdeckte das Kleidungstück ebenfalls in diesem Jahrzehnt für sich. Die Jungs von Run-DMC in Adidas-Trainingsanzügen, klar. Zunächst trugen Hip-Hopper sie, weil man sich darin gut bewegen und tanzen kann. Doch das Kleidungsstück entwickelte sich weiter und wurde zur Uniform einer Subkultur, in der Musik, Tanz und Mode miteinander verwoben sind. „Das war eine Gegenkultur - gegen die herrschende Mode und damit auch gegen die herrschenden Machtverhältnisse“, sagt Modeexpertin Weis.

Vom subversiven Element zum Mainstream

Ihren rebellischen Touch hat die Jogginghose lange verloren. Weis beschreibt den Mechanismus, der dahintersteckt: Die Modewelt verleibe sich ein Kleidungsstück und damit auch dessen subversives Element ein. „Dann ist es vorbei damit, dann ist es Mainstream.“

Ist die Jogginghose gesellschaftlich inzwischen so akzeptiert, dass man sie überall trägt - nach ihrem Aufschwung durch Lockdown und Homeoffice? Modehistorikerin Karner differenziert: Je jünger und/oder hipper, desto verbreiteter sei sie als alltägliches Kleidungsstück. „Menschen ab Mitte 20 tragen sie zum Semmeln holen oder auf dem Weg ins Fitnessstudio, aber eher nicht im Büro oder Theater“, so ihre Einschätzung.

Modeexpertin Weis sieht noch immer einen Hauch von Lässigkeit darin, zu bestimmten Anlässen in Jogginghose aufzulaufen. Botschaft: Ich kümmere mich nicht um bürgerliche Konventionen. Aber wie passt dazu, dass auch Luxuslabel wie Gucci oder Prada Modelle im Sortiment haben? Trends aus der Streetwear aufzugreifen, sei eine gängige Methode, um die junge Zielgruppe zu erreichen, erklärt Weis. „Dabei ist die Jogginghose eigentlich alles andere als prätentiös. Das führt das Ganze ein bisschen ad absurdum.“ Und mit einem Kleidungsstück zum Joggen hat es in diesem Fall gar nichts mehr zu tun.