Haben Sie schon einmal im Wald übernachtet? "Wenn man morgens aufwacht, das erste Licht sieht, den würzigen Waldboden riecht", sagt Gert G. von Harling, "das sind Glücksmomente. Dann ist es egal, ob der Wasserhahn leckt oder das Auto eine Delle hat." Der 63 Jahre alte Jäger und Jagdschriftsteller aus Lüneburg geht heute noch morgens um vier Uhr auf die Pirsch und in die Natur, bevor er um acht Uhr vor dem Computer sitzt.

Die Bilanz, die Harling nach fast fünf Jahrzehnten Jagd zieht, ist ernüchternd. Vieles von dem, was die Jagd als selbstverständlichen Teil des Lebens ausmachte, ist verloren gegangen. Sei es durch die stetige Veränderung der Landschaft oder das Verschwinden von Tierarten, durch bürokratische Hemmnisse oder sei es, ganz entscheidend, durch die gedankenlose Einstellung mancher Jäger.

Gert G. von Harling ist auf dem Land groß geworden, selbst ein Teil der Natur geworden. "Ich habe im Prinzip mit der Jagd angefangen, als ich laufen konnte." Mit acht Jahren wusste er, wie ein Luftgewehr funktioniert, mit neun konnte er ins Jagdhorn blasen. An der Außenwand seines Schlafzimmers in Feuerschützenbostel in der Lüneburger Heide hing ein riesiges Hirschgeweih. "Wir kannten die Natur, jeden Vogel, jedes Insekt." Ein "Wildmeister" lehrte: "Wenn du ein Stück Wild erlegen willst, musst du dich in seine Lage hineinversetzen." Ein Jäger muss wissen, dass der Hase ein Feinschmecker ist, welche Kräuter er schätzt. Dann weiß er auch, wo er zu finden ist.

Man kann die Jagd nicht im Crashkurs lernen. "Jagdschulen" sollen heute in drei Wochen alles vermitteln, was sich Harlings Generation ein Leben lang aneignete. Drei Wochen, um zum Herrn über Leben und Tod zu werden. In der Saison 2005/2006 gab es in Deutschland 348 347 Jagdschein-Inhaber, so viel wie nie zuvor.

Jagd hat viel mit Respekt zu tun. "Das bedeutet: Ehrfurcht vor der Schöpfung", sagt Harling. "Zur Schöpfung gehört das Erleben der Natur. Die Tautropfen, die Himmelsfärbung, das Konzert der Vögel, selbst ein Mückenschwarm. Ein Wunder! Ich bin ein gläubiger Mensch - für mich gehören Leben und Tod selbstverständlich zusammen. Mir ist nach der Jagd völlig klar, dass ich ein Leben ausgelöscht habe." Indianer und andere Naturvölker sollen rund um ein erlegtes Tier getanzt, sich bei ihm entschuldigt haben. "Ein schöner Brauch", sagt Harling, der viele Jahre berufsmäßig im Ausland gejagt hat. Zu seinem Verständnis gehört auch, dass er ehrenamtlich kranke Menschen betreut.

Einen Jagdschein kann man erwerben, Moral und Ethik nicht. Erfahrene Jäger wünschen sich, dass sich jeder Waidmann intensiv mit der Natur beschäftigt, bevor er loszieht. Warum soll der Bock geschossen werden und der andere nicht? Warum ist es ganz normal, 50-mal auf die Pirsch zu gehen und vielleicht nur einmal zu schießen? Früher war es verpönt, ohne Hund zu jagen. Heute wird das durch die Technik wettgemacht. Viele moderne Jäger sind hochgerüstet, mit Nachtsichtgeräten und Spezialpatronen für jeden Zweck. Wenn sich die Leute über Schüsse aus 200 Meter Entfernung freuen, schüttelt Harling nur mit dem Kopf: "Mein Ausbilder sagte: Du bist Jäger und nicht Kunstschütze."

Heute kommen viele Jagdpächter aus der Stadt, parken ihren Geländewagen in einer Schneise, gehen hundert Meter bis zum Hochsitz und verschwinden schnell wieder. Der Umgang mit der Natur hat sich verändert. Tiere sind für viele Stadtmenschen keine wilden Lebewesen mehr. Sie kennen den Hirsch aus dem Tierpark, haben aber noch nie ein Reh in freier Wildbahn gesehen. "Zootiere sind für mich arme, degenerierte, bedauernswerte Wesen", sagt Harling. "Ich glaube übrigens auch nicht, dass Tierarten andere ausrotten können. Das kann nur der Mensch!"

Die klassische Jagd ist zeitaufwendig, das Heranpirschen im Winter kalt und unbequem. Da sitzen manche Jäger doch lieber in der Kanzel, womöglich noch beheizt, und warten. Zu perfekt organisierten "Gesellschaftsjagden" sind oft mehr als hundert Schützen eingeladen. Harling hatte in der vergangenen Saison von Ende Oktober bis Januar wieder zahlreiche Einladungen. Menschen, die sonst nicht zur Jagd gehen, werden zum Stand gebracht und lassen sich das Wild zutreiben. Es gibt inzwischen sogar Zuchtbetriebe, in denen Hirsche angefüttert werden, nur damit sie wegen ihrer prächtigen Geweihe abgeschossen werden können.

Seine Kinder, weiß Gert G. von Harling, werden nicht mehr so jagen können, wie er es noch gelernt hat. "Ich werde von vielen belächelt. Aber ich sehe uns als die Generation, die noch mit dem Herzen jagt."


Zum Weiterlesen: Gert G. v. Harling: "Wilde Jagd und stille Einkehr", CW Nordwest Media, 168 Seiten, 19,50 Euro.

Internet: www.vonharling-jagd.de