Niels van Quaquebeke (30) ist Leiter der Respect Research Group an der Universität Hamburg. Die Gruppe aus Wissenschaftlern verschiedener Fachbereiche erforscht die Funktion von Respekt in der Gesellschaft und entwickelt Modelle, wie der respektvolle Umgang beispielsweise innerhalb von Unternehmen oder in der Schule verbessert werden kann. Dafür wurde das Projekt jüngst von der Initiative "Deutschland - Land der Ideen" von der Bundesregierung ausgezeichnet.


Was ist Respekt, Herr van Quaquebeke?

Psychologisch gesehen ist Respekt eine Einstellung zwischen einem Subjekt und einem Objekt. Er entsteht nicht, weil ihn jemand einfordert, sondern weil man selbst erkennt, dass Respekt die "richtige" Einstellung dem anderen Menschen gegenüber ist.



Ist Respekt angeboren?

Wir Menschen sind soziale Wesen und quasi darauf programmiert, miteinander auszukommen. Wir wissen von Kindesbeinen an, dass wir im sozialen Gefüge klarkommen müssen, aber wir wissen nicht sofort, wie. Das müssen wir lernen.



Ist Respekt gleich Respekt oder gibt es da Unterschiede?

Der Begriff wird leider oft unpräzise benutzt. Jemand, der sagt, er hat Respekt vor dem Kampfhund, meint eigentlich Angst. Ein Chef kann Respekt einfordern, meint aber Gehorsam. Ältere Menschen sprechen vielleicht davon, dass Jugendliche heutzutage keinen Respekt haben, bedauern aber eher den Mangel an Höflichkeit. Psychologen unterscheiden zwei Arten von Respekt: Es gibt den respektvollen Umgang miteinander im Sinne von Achtung. Die einzige Bedingung dafür ist, dass man einander als gleichwertigen Menschen betrachtet. Die andere Art von Respekt bringt man einem Menschen für eine Meisterschaft, eine besondere Leistung entgegen. Das ist der Respekt, den man, beispielsweise einem Jürgen Klinsmann für seine Errungenschaften im Fußball, zollt. Bei dieser Art lässt man den Einfluss des Respektierten zu, man folgt ihm sogar in diesem Bereich, in dem er sich den Respekt verdient hat.



Respekt ist in aller Munde, jeder will ihn: Anhänger der Hip-Hop-Szene genauso wie die Dame am Bridge-Tisch.

Es ist ein verständlicher, menschlicher Wunsch. Das Problem ist nur, dass der Begriff nicht differenziert genug benutzt wird. Von der Unesco gibt es eine Erklärung zu Respekt und Toleranz, die UN fordern immer wieder Respekt in verschiedenen Bereichen ein. Die Uefa macht eine Respekt-Kampagne. Alle Welt spricht von Respekt, aber die wenigsten präzisieren den Begriff. Das halte ich für falsch. Ein Lehrer, der meint, nicht genug Respekt von seinen Schülern zu bekommen, fordert eigentlich Gehorsam für die Autorität seines Amtes. Das ist nicht dasselbe. Wenn Schüler sagen, sie respektieren ihre Lehrer nicht, dann geht es ihnen nicht unbedingt um die Position des Lehrers, sondern darum, dass der Lehrer aus ihrer Sicht den Respekt nicht verdient hat. Sie sehen dann keinen Grund, ihrem Lehrer zu folgen. Wenn ich jemandem Respekt zolle, dann folge ich ihm freiwillig.



Heißt das, dass uns der Respekt abhandengekommen ist?

Das redet sich wohl jede Generation ein. In einer Gesellschaft, die so heterogen ist wie die in Deutschland, mit so vielen unterschiedlichen Kulturen und Ansichten, gibt es nun einmal eine Wertepluralität. Unterschiedlichen Menschen sind unterschiedliche Dinge wichtig. Die Frage, die wir uns stellen müssen, ist, wie man mit diesen Werten umgeht, ohne einander niederzumachen. Deshalb empfinde ich die Debatte um eine deutsche "Leitkultur" als unsäglich, weil in ihr häufig genug deutlich wird, dass Pluralität in eine einheitliche Form gepresst werden soll.



Ändert sich das Verständnis von Respekt mit der Zeit?

Ja, wir sprechen von Kohorteneffekten, also Effekten, die eine Generation von der anderen unterscheidet. Aber auch das subjektive Respekt-Verständnis kann sich im Laufe eines Lebens ändern. Ähnlich wie beim Verständnis von Moral, das zum Beispiel bei Kindern noch hedonistisch ist und sich im Erwachsenenalter zu allgemeinen Prinzipien steigert. Dieses Lernen ist Ergebnis eines tiefen Einsichtsprozesses - der Einsicht darüber, dass wir alle gleichwertig sind.



Deshalb knallt es so oft zwischen den Genera-tionen - weil jeder sein eigenes Verständnis von Respekt hat?

Wohl auch deshalb. Es wäre also sinnvoll, nicht in Phrasen von Respekt und Moral miteinander zu kommunizieren, sondern sich inhaltlich auseinanderzusetzen. Die Jugendlichen haben nämlich genauso wenig den Respekt verloren, wie ihn die Älteren ständig einfordern. Je mehr sich Menschen aus verschiedenen Generationen, Milieus und Kulturen inhaltlich begegnen, desto eher spüren sie, dass sie alle etwas teilen, dass Ressentiments gegenüber anderen Gruppen überhaupt nicht zu rechtfertigen sind. Diese Erkenntnis ist der Schlüssel zum respektvollen Miteinander.



Muss man Respekt vor sich selbst haben, um ihn für andere zu empfinden?

Ja. Nur wer genug über sich selbst erkannt hat, schafft die Basis dafür, andere als gleichwertig erkennen zu können.



Ist eine Welt ohne Respekt möglich?

Respekt ist das gesellschaftliche Schmiermittel, ohne das ständig Reibung entstehen würde. Wir töten einander ja nicht deshalb nicht, nur weil es Gesetze gibt, die es uns verbieten, sondern weil wir einander meist als gleichwertig ansehen. Im Großen und Ganzen respektieren wir einander. Ohne diesen sozialen Schmierstoff würden wir die Errungenschaften der Zivilisation verlieren. Ich möchte mir eine Welt ohne Respekt nicht vorstellen wollen.



Warum forschen Sie zu Respekt - lohnt es sich?

Zumindest nicht finanziell. Aber persönlich lohnt es sich, weil alle Wissenschaftler in unserer Gruppe das ergründen, was sie am meisten interessiert. Natürlich haben wir auch eine Notwendigkeit erkannt, weil es besonders im Bereich der empirischen Respektforschung nur wenige Arbeiten gibt. Wir wollten einige Pfeiler setzen, an denen sich die Menschen orientieren können, wenn es um das respektvolle Miteinander geht.



Und wovor haben Sie Respekt?

Psychologen wird ja immer vorgeworfen, dass sie über die Dinge forschen, mit denen sie selbst ein Problem haben . . .



Herr van Quaquebeke, Sie wollen uns doch nicht erzählen, dass Sie ein Problem mit Respekt haben.

Es gibt einfach sehr wenige Menschen, denen ich gerne und freiwillig folgen würde.