Nach einer fast inflationären Spezialisierung der Gläser, ob nun als Bordeaux-, Merlot- oder Brunello-Glas, gibt es jetzt einen neuen Trend. Und der heißt: Weniger (Glas) ist mehr. Die schwedische Glasdesignerin Erika Lagerbielke und der Hamburger Master Sommelier Hendrik Thoma vom Hotel Louis C. Jacob sagen, worauf es ankommt.

Wein, so sagte der französische Schriftsteller und Philosoph Voltaire einst, sei die Nachtigall unter den Getränken. Es ist davon auszugehen, dass er den reichen, wohltönenden Gesang des Vogels zum Vergleich heranzog. Und nicht die eher unscheinbare, gelblich-bräunliche, spatzengroße Erscheinung des Tieres. Wein beflügelt seit jeher die Gemüter, und Wein zu trinken ist spätestens nach der Wiederentdeckung des Themas Kochen aktueller denn je. Nach einer fast inflationären Spezialisierung der Gläser, ob nun als Bordeaux-, Merlot- oder Brunello-Glas, gibt es jetzt einen neuen Trend in Sachen Weinglas. Und der heißt: Weniger (Glas) ist mehr.

Die Erkenntnis kommt aus Schweden. Nun ist das Land nicht unbedingt als Weinanbauland bekannt. Muss es aber auch nicht. Denn was Design angeht, eben auch bei Glaswaren, machen einem die Skandinavier so schnell kein Rentier für einen Elch vor. Die Manufakturen Orrefors und Kosta Boda, einst Konkurrenten, heute vereint, stehen für hohe Qualität und außergewöhnliche Gestaltung ihrer Waren. Das gilt auf seine Weise auch für das Hotel Louis C. Jacob an der Elbchaussee, dessen Master Sommelier Hendrik Thoma eine Kooperation mit der bekannten schwedischen Glasdesignerin Erika Lagerbielke von Orrefors eingegangen ist. Und so einen Weg beschreitet, der bisher einmalig in Deutschland, wenn nicht sogar vielleicht weltweit ist.

"Difference" macht den Unterschied. Die Glasserie kommt mit zwei Gläsern für Rotweine ("Primeur" für junge und "Mature" für reife Weine) und zwei Gläsern für Weißweine ("Crisp" für trocken/frische und "Fruit" für fruchtige Weine) aus. "In Schweden schätzen wir die Einfachheit. Deshalb wollte ich eine Reihe von Gläsern, die so kurz wie möglich ausfiel", sagte Erika Lagerbielke bei einem Besuch in Hamburg.

Bis 1995 hätte sie Gläser gemacht, die einfach schön waren. "Danach habe ich angefangen, die Gläser vom Standpunkt des Weines aus zu betrachten." Heute wiederum würde sie die sinnlichen Erfahrungen mit in die Glasentwicklung einfließen lassen, die Menschen beim Genuss von Wein erleben. "Difference" ist sowohl ästhetisch als auch in funktioneller Hinsicht das Ausgefeilteste, was ich je gemacht habe", so Lagerbielke. Herausgekommen sind große Kelchgläser von kühner Form. Zootierärzte werden beim Betrachten des "Mature"-Glases an eine im 22. Monat schwangere Elefantenkuh denken (was bedeutet, dass die Geburt kurz bevorsteht). So tief wölbt sich die Rundung, so sehr besteht die Gefahr des Umkippens bei unsachgemäßer Neigung. Erstaunlich dünn erscheint dagegen der Stiel, der die Gläser dadurch jedoch recht elegant erscheinen lässt. Und: Die Stiele aller Gläser sind gleich lang. Das schafft optisch Klarheit. Drei Jahre hat Erika Lagerbielke an "Difference" gearbeitet, und dabei stand ihr mit dem Weinkenner Bengt-Göran Kronstam (Chefredakteur und Herausgeber der schwedischen Zeitschrift "Vin & Mat", zu deutsch Wein und Essen) ein Fachmann zur Seite.

Dass sich die Form der Gläser tatsächlich auf den Geschmack des Weines auswirkt (und deshalb beim Entwurf, Emotionen hin oder her, berücksichtigt werden muss) ist nicht nur hinlänglich bekannt, sondern sogar wissenschaftlich erforscht. So ließ zum Beispiel Prof. Thomas Hummel, Leiter des Arbeitsbereichs "Riechen und Schmecken" der HNO-Klinik des Universitätsklinikums Carl Gustav Carus der Technischen Universität Dresden 2003 knapp 200 Freiwillige Weiß- und Rotwein in je drei verschieden geformten Gläsern testen. Und fand dadurch heraus, dass sich "der Geruch des Weins, und damit auch das Aroma, in Abhängigkeit von der Glasform ändert". Dementsprechend sind auch die "Difference"-Gläser geformt: "Crisp", das Glas für den jungen Weißwein mit den leichten, schnell aufsteigenden Aromen, hat eine relativ kleine Öffnung und ist verhältnismäßig hoch.

Lagerbielke: "Höhe und Geschlossenheit waren für uns eine Entdeckung. Aber der Duft soll ja in die Nase - und nicht in die Ohren." "Fruit", das Glas für die großzügigen, abgerundeten Weißweine, ist dementsprechend bauchiger und weiter geöffnet. Thoma: "Hier muss die Nase näher an den Wein heran, an die komplexeren, schwereren Aromen." Bei den Rotweingläsern ist "Primeur" so gestaltet, dass der sanfte, aber bereits üppige Duft der stark von Frucht- und Gerbsäuren geprägten jungen Rotweine sich frei entfalten kann - dazu liegt der Rand des Glases hoch. Bei "Mature" schließlich, dem Weinglas für die reifen Weine mit den sogenannten Sekundäraromen, lässt die große Oberfläche des extrem bauchigen Kelches den Wein tief atmen. "Hier gehören Weine rein, die Platz brauchen", sagt Hendrik Thoma.

Und die Gäste? Wie bewerten sie die neue Schlichtheit, die mit einem Zusammenstreichen der Weinliste (Thoma: "Tradition heißt Verpflichtung zur Innovation") von 1200 auf 700 Positionen und eine Eingruppierung der Weine nach Charakter einhergegangen ist? "Viele unserer Gäste bemerken und reflektieren es. Auch in unserer Mannschaft diskutieren wir wieder mehr über die Weine. Und darüber, in welches Glas sie gehören", sagt Hendrik Thoma. Rundherum auf "fruchtbaren Boden" sei das neue Konzept also gefallen. "Aber", so Thoma, "wir erheben keinen Anspruch auf Absolutismus. Wahrer Genuss bedeutet, für sich das Richtige zu finden."