Berlin. In zwei Massengräbern im Nordwesten Spaniens wiesen fast alle Knochen Brüche und Schnitte auf. Waren die Steinzeitmenschen Kannibalen?

Sage mir, wie du begraben wurdest und ich sage dir, wer du warst. So könnte man die Forschungsarbeit vieler Archäologen zusammenfassen, die uralte Grabstätten freilegen und analysieren. Denn oftmals sind Gräber die einzigen Überbleibsel längst vergangener Kulturen. Seine Toten zu bestatten, zu verbrennen oder ganz einfach nicht zu begraben, all das hatte oftmals eine besondere Bedeutung. Wer waren also die Menschen, die vor 6000 Jahren ihren Toten die Knochen brachen und das Fleisch abzogen?

In Spanien sind Forscher bereits vor Jahrzehnten auf zwei Massengräber aus der Jungsteinzeit gestoßen, in denen die Toten genau solche Spuren aufwiesen. Laut einer neuen Analyse waren die Knochen von zwei Dutzend verstorbenen Männern, Frauen und Kindern mit Frakturen und Brüchen überzogen, die ihnen kurz vor oder kurz nach dem Tode zugefügt sein mussten. Neben den Knochen fanden Archäologen auch Pfeilköpfe aus Feuerstein, Werkzeuge aus Knochen und Stein sowie Keramikscherben.

Massengräber: Knochen weisen Schnittspuren auf

Über den skurrilen Bestattungskult berichteten Forscher der Universidad de Salamanca jüngst im Fachjournal „International Journal of Osteoarchaeology“. So seien 70 bis 90 Prozent der gefundenen Knochen gebrochen. Einige Armknochen waren sogar schmetterlingsförmig gebrochen, ein Indiz darauf, dass die Knochen frisch waren, als auf sie eine senkrechte Schlagkraft einwirkte. Auf den Knochen entdeckten die spanischen Forscher auch Schnittspuren, die von Steinwerkzeugen stammen könnten, mit denen das Fleisch von den Knochen getrennt wurde.

Die vermeintlich brutale Beerdigungspraxis könnte eine schnellere Zersetzung der Toten zum Ziel gehabt haben, mutmaßt Angélica Santa-Cruz, Archäologin der Universität von Vallodid, bei „Live Science“. So könnten die Menschen den Knochen auch als Relikte oder Bestattungsobjekte gehuldigt haben.

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Waren die Steinzeitmenschen Kannibalen, die ihre Toten aßen?

Die Autoren der Studie halten außerdem noch einen ganz anderen Grund für möglich: Kannibalismus. Das Fleisch von Toten zu essen, war in der Steinzeit eine weitverbreitete Beerdigungspraxis und könne auch bei den beiden Massengräbern in Los Zumacales und La Cabaña nicht ausgeschlossen werden. Sie liegen im Nordwesten Spaniens, in dem für das Jungpaläolithikum vor 35.000 Jahren bis 10.000 Jahren mehrere Fälle von Kannibalismus dokumentiert wurden.

Einer der prominentesten Fälle von posthumem Kannibalismus stammt aus der „Gough‘s Cave“ im Südwesten Englands, in der Knochen von prähistorischen Menschen gefunden wurden, die übersät mit Schnitt- und Bissspuren waren. Drei menschliche Schädel bearbeiteten die eiszeitlichen Bewohner Britanniens wohl sogar so, dass sie als Becher genutzt werden konnten. Funde wie diese verteilen sich über ganz Europa. Archäologen nehmen an, dass diese Beerdigungspraxis während der Eiszeit auf dem Kontinent weit verbreitet war.

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