Mannheim. Im Flamenco-Kleid sorgt eine Seniorinnen-Tanztruppe für gute Laune. Doch auf der Buga dürfen sie so nicht auftreten. Das ist der Grund.

Sie tanzen, sie singen, sie machen Playback-Shows und führen Modenschauen auf: Die Damen des Seniorinnenballetts der Arbeiterwohlfahrt sind zwischen 60 und 82 Jahre alt und Vollblutentertainerinnen. Seit der Gründung 1980 tritt die Truppe in Seniorenheimen, auf Stadtfesten, Geburtstagen, Hochzeitsjubiläen und Klassentreffen auf. Wo sie hinkommt, sorgt sie für Stimmung.

Auch steppen können einige der Ehrenamtlerinnen, was die Schuhe zum „heißen Eisen“ werden lässt, wie es auf der Website heißt. Zum heißen Eisen wurde das AWO-Ballett jetzt aus einem anderen Grund: Eine für den 19. April geplante Show auf einer Freiluftbühne der Bundesgartenschau in Mannheim wurde gekippt, wie der „Mannheimer Morgen“ zuerst berichtete. Der Vorwurf: kulturelle Aneignung.

Seniorinnen haben Kostüme selbst genäht

„Weltreise mit dem Traumschiff“ heißt das Programm, mit dem die fitten Seniorinnen auftreten wollten. Ein bisschen gute Laune und große weite Welt wollten sie damit in den nasskalten deutschen Frühling bringen. Stepptanz aus Irland, Flamenco aus Spanien, Holzschuhtanz aus Holland, Samba, Bauchtanz oder eine Tanznummer zum Pophit „Walk like an Egyptian“ haben die Hobbytänzerinnen dafür trainiert und sich Kostüme genäht.

Lesen Sie auch: Welche Kostüme kann ich im Karneval noch tragen?

Doch aus dem Auftritt wird wohl nichts. „Wir dürfen sechs unserer Kostüme nicht zeigen“, berichtet Truppenleiterin Erika Schmalz. Die beanstandeten Tänze mit den entsprechenden Kostümen sind: Flamenco (Spanien), Bauchtanz (Orient), Sombrero-Tanz (Mexiko), Kimono-Tanz (Japan), indischer Tanz und ägyptischer Tanz.

„Als Seniorin fühle ich mich diskriminiert“

Die Buga-Gesellschaft hatte die Kostüme abgelehnt, „bei denen der Eindruck entstehen könnte, es würden kulturelle und religiöse Stereotype zur Unterhaltung ausgeschlachtet werden“.

Das Nein hatte Buga-Mitarbeiterin Lina Mayer der AWO-Tanzgruppe zunächst per E-Mail ohne weitere Begründung mitgeteilt. Ein anschließendes Telefonat der Tänzerin Marianne Nannig mit Mayer sei „unschön“ verlaufen. „Ich wurde schnell abgekanzelt mit dem Argument, unsere Kostüme seien ’kulturelle Aneignung’“, so Nannig. „Als Seniorin, die einen Beitrag zur Buga leisten möchte, fühle ich mich diskriminiert.“

Religiöse Stereotype ausgeschlachtet?

Auf Nachfrage teilte Buga-Sprecherin Corinna Brod mit: „Wir haben einige Kostüme der Gruppe abgelehnt, bei denen der Eindruck entstehen könnte, es würden kulturelle und religiöse Stereotype zur Unterhaltung ausgeschlachtet werden. Mexikaner als Menschen mit Sombrerohut oder klischeebesetzte asiatische Kostümierung – das sind Bilder, die wir nicht auf der Mannheimer Buga sehen.“

Die Buga-Gesellschaft habe dabei „versucht, mit Augenmaß vorzugehen“, so Brod, „ohne dabei unsere Maßstäbe hinsichtlich interkultureller Sensibilität zu untergraben: Deshalb haben wir nicht die ganze Reihe abgesagt, sondern einige Kostüme herausreklamiert.“

AWO kann Entscheidung nicht verstehen

Für Erika Schmaltz, die mit ihren Damen noch sechs weitere Senioren-Termine auf der Buga bestreiten wollte, gilt: Ganz oder gar nicht. Die Begründung überzeugt sie nicht. „Wenn wir unsere extra für die Buga einstudierte Show nicht zeigen können, was sollen wir dann machen?“, fragt sie. Und Marianne Nannig ergänzt: „Das ist eine Katastrophe für uns.“ Der Aufwand sei jedenfalls „riesig“.

Auch Alexander Manz kann die Entscheidung nicht verstehen. „Die AWO steht für Vielfalt, Offenheit und Toleranz“, sagt der Vorstand des Kreisverbands. Ehrenamtliches Engagement sei ein hohes Gut. Der Verband stehe zum Ballett. Manz hofft, dass die Entscheidung noch nicht endgültig ist.

Nicht „woke“: „Indianer“-Kostüme in Verruf

Bundesgartenschau-Geschäftsführer Michael Schnellbach begründet die Entscheidung damit, dass ihm die Kostüme bis vor einigen Wochen nicht bekannt gewesen seien. Als das Projekt vorgestellt wurde, seien vor dem Hintergrund der aktuellen Diskussion zur „Sensibilität für kulturelle und religiöse Codierungen Bedenken an der Wirkung einiger Kostüme aufgekommen“.

„Walk like an Egyptian“: Der Song der Frauenband The Bangles war 1986 die Nummer eins der deutschen Charts, durch das Video wurde der Tanz geschaffen.
„Walk like an Egyptian“: Der Song der Frauenband The Bangles war 1986 die Nummer eins der deutschen Charts, durch das Video wurde der Tanz geschaffen. © Mannheimer Morgen/Awo-Ballett | Mannheimer Morgen/Awo-Ballett

Die Diskussion um kulturelle Aneignung entstand in den 1970er Jahren. In den 2010er-Jahren kam es verstärkt zu einem Bewusstsein für Missstände und Ausbeutung in der westlichen Welt, die sogenannte „Woke“-Bewegung. Kritisiert wurden zunächst hauptsächlich Übernahmen der afroamerikanischen Kultur durch Weiße wie Rap-Musik oder geflochtene Zöpfe („Braids“), wie Prominente wie Bo Derek oder Kim Kardashian sie trugen. In Deutschland gerieten vor allem Verkleidungen als sogenannte Indianer in die Kritik.

Dominanz einer Kultur ein Kriterium

Durch Annahme der äußerlichen Insignien einer Ethnie für die eigene Partygaudi werden diese oft jahrtausendealten Symbole ihrer Bedeutung beraubt. Sie sind dann reine Fassade, mit der rassistische Stereotypen bedient werden können. Manchmal sind die Kostüme so überzogen, klischeehaft oder billig imitiert, dass sie die Ethnie ins Lächerliche ziehen.

Das Awo-Ballett in Flamenco-Kleidern.
Das Awo-Ballett in Flamenco-Kleidern. © Mannheimer Morgen/Awo-Ballett | Mannheimer Morgen/Awo-Ballett

Als Gegenargument wird oft genannt, dass es seit Menschheitsbeginn einen Austausch zwischen den Kulturen gibt und kaum eine Tracht originär nur auf eine bestimmte Bevölkerungsgruppe zurückzuführen ist. Im südspanischen Flamenco etwa sehen Forscher byzantinische, indische, arabische und afrikanische Einflüsse.

Ein wichtiges Kriterium für kulturelle Aneignung ist die Dominanz der übernehmenden Kultur. Bestehe kein Machtungleichgewicht zwischen den Kulturen und gebe es keine Ausbeutungsgeschichte, „kann niemand etwas sagen“, glaubt der Sozialwissenschaftler Lars Distelhorst, Autor des Buchs „Kulturelle Aneignung“. Doch die Buga-Leitung beanstandete auch Kostüme aus Spanien, Japan und der antike Großmacht des Alten Ägypten.