Madrid. Eine spanische Extremsportlerin übersteht 500 Tage in der Dunkelheit: Nun werden neue Erkenntnisse über Körper und Gehirn erwartet.

Lächelnd, mit blauem Schutzhelm auf dem Kopf und dunkler Sonnenbrille vor den Augen, steigt Beatriz Flamini aus der Höhle. Freudentränen laufen über ihr Gesicht. Sie hebt die Arme in die Höhe. Die Helfer, die sie nach mehr als 500 Tagen aus der Höhle holten, klatschen. „Ich liebe euch sehr“, sagt Flamini bewegt und umarmt die Menschen, die draußen im Tageslicht auf sie warten.

Genau 510 Tage hat die 50 Jahre alte spanische Extremsportlerin aus Madrid in einer kleinen Höhle in 70 Meter Tiefe verbracht. Völlig abgeschottet vom Leben und den Ereignissen der Außenwelt. Ohne Handy. Ohne Internet. Ohne Uhr. Ohne mit anderen Menschen sprechen zu können. Und ohne die Sonne zu sehen. Noch nie hielt ein Mensch so lange in absoluter Abgeschiedenheit in der Tiefe aus. Sie stellte damit einen Höhlen-Weltrekord auf.

Forscherin in der Höhle: "Immer nur dieselbe Stille"

Als Flamini vor mehr als 16 Monaten in die Höhle im Bergland der südspanischen Provinz Granada kletterte, beschrieb sie ihren Plan als persönliche Herausforderung, mit der sie der Wissenschaft dienen wolle. Und mit der sich die leidenschaftliche Bergsteigerin und Naturliebhaberin auch selbst besser kennenlernen wollte. „Ich freue mich auf das Abenteuer“, sagte sie.

Die Bergsteigerin und Höhlenforscherin Beatriz Flamini im Inneren der Höhle.
Die Bergsteigerin und Höhlenforscherin Beatriz Flamini im Inneren der Höhle. © Dokumalia/dpa

Doch die selbstgewählte Isolation in 70 Meter Tiefe verlief für die durchtrainierte Sportlerin härter als gedacht: „Höhlen sind sehr feindselige Umgebungen für die Menschen, vor allem für das Gehirn“, sagt sie in einem Video, das sie unter der Erde mit einer Kamera aufzeichnete. „Du siehst kein Tageslicht, du hast keinerlei Referenzen, du hörst nichts – immer nur dieselbe Stille.“

Experiment in Höhle: Wertvolle Erkenntnisse erwartet

Auf dem Video sieht man, wie sie auf einem Campingkocher Essen zubereitet. Wie sie im Licht ihrer Stirnlampe Bücher liest, Notizblöcke vollschreibt oder Bilder malt. Und wie sie sich in ihrer Höhlenkammer, die nur drei mal vier Meter misst, mit Kniebeugen fit hält. Monatelang hatte sich die Frau mit Experten auf diesen Selbstversuch vorbereitet. Sie durfte im Notfall Nachrichten an ein Helferteam schicken. Aber sie konnte keine Nachrichten von draußen empfangen.

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Man sieht auf den Videobildern auch, dass Flamini in der Höhle nicht immer guter Dinge, sondern zuweilen verzweifelt und frustriert ist. „Ich habe Lust, den ganzen Tag zu weinen“, hört man sie sagen. Sie sinniert darüber, dass die Zeit für sie stehengeblieben und bedeutungslos geworden ist. „Für mich ist immer vier Uhr morgens.“ Das sei zum Verrücktwerden.

Auch die Digitalkamera, mit der Flamini Selbstgespräche führte, enthielt übrigens keine Datums- oder Zeitangabe. Das Videomaterial soll von Wissenschaftlern ausgewertet werden. Die Forscher erwarten neue Erkenntnisse darüber, wie sich der menschliche Körper und die Psyche unter diesen extremen Bedingungen verändern. Das Bildmaterial soll zudem zu einem Dokumentarfilm verarbeitet werden.

Nach ihrer Rückkehr in die Außenwelt wurde die Abenteurerin zunächst einmal in einem Krankenwagen medizinisch untersucht. Sie fühle sich gut, sagte sie wenig später vor Medienvertretern. „Aber ich weiß nichts über diese Welt.“ Für sie sei immer noch der 20. November 2021 – jener Tag, an dem sie mit 48 Jahren in die Höhle kletterte. Als sie nun aus ihrem Felsenloch herauskam, war sie 50.

Spanische Extremsportlerin: Das hat sie verpasst

Nach dem Ende ihres 500-Tage-Abenteuers wusste sie weder, dass die Corona-Pandemie inzwischen weitgehend überwunden ist. Dass Russland die Ukraine überfallen und damit einen fürchterlichen Krieg provozierte. Dass Europa dadurch in eine tiefe Energie- und Inflationskrise schlitterte. Oder, dass Queen Elizabeth verstarb.

Allerdings machte Beatriz Flamini auch nicht den Eindruck, dass sie die Weltnachrichten vermisst habe. Schon vor Beginn ihres Höhlenexperimentes hatte sie gesagt, dass ein Leben fern der Zivilisation glücklicher machen kann. Das habe sie bereits bei diversen Naturabenteuern erlebt. Etwa als sie vor ihrem Höhlentrip drei Monate mutterseelenallein in der zentralspanischen Bergwelt verbrachte – nur mit Zelt und in Harmonie mit der Natur.

Bei ihren Einsiedler-Experimenten, so bekannte Flamini, habe sie eines über die Konsumwelt gelernt: „Man kann auf ziemlich viele Dinge verzichten.“