Walldürn. Die Polizei befreite drei Geiseln aus dem Haus eines Mannes. Zwei von ihnen sollen seit „sehr langer Zeit“ gefangen gewesen sein.

Das Haus ist in einem Rosaton angestrichen. Es wirkt nicht wirklich einladend, es wirkt nicht wirklich heruntergekommen. Drei Kleinwagen parken davor, hohe immergrüne Gewächse schützen vor Einblicken von Nachbargrundstücken aus. Hier, im idyllischen Fachwerkstädtchen Walldürn im Odenwald mit seinen rund 11.000 Einwohnern, soll sich ein ungeheuerliches Verbrechen zugetragen haben. Ein Mann, 37 Jahre alt, hielt dort nach jetzigen Erkenntnissen drei Frauen gefangen und vergewaltigte sie. Sein 23-jähriger Bruder soll sein Komplize gewesen sein.

Am 19. Oktober ging bei der Polizei ein Notruf ein. Eine Frau behauptete, ihre Freundin werde gegen ihren Willen in einem Haus festgehalten. Es sei jener Freundin in einem unbeobachteten Moment gelungen, zu telefonieren und um Hilfe zu bitten. Sie werde seit vier Tagen gegen ihren Willen festgehalten, sei schwer verletzt und fürchte um ihr Leben, habe sie mitgeteilt.

Frauen werden psychologisch untersucht

Als die Polizei zu dem Haus fuhr, fand sie zwei weitere Frauen vor, wie der Erste Staatsanwalt Florian Sommer dieser Redaktion sagte. Sie wurden bereits seit „sehr langer“ Zeit“ festgehalten, man gehe von vielen Wochen aus. Über den Zustand der Frauen oder die Identität des Täters wollte der Staatsanwalt keine Angaben machen. Er sei seines Wissens nicht vorbestraft.

Eine Sonderermittlungsgruppe arbeite mit Hochdruck, sagte Sommer, die mutmaßlichen Opfer würden psychologisch untersucht und die Glaubwürdigkeit der Aussagen dokumentiert: „Ein Verbrechen dieser Tragweite kommt ja wirklich nicht alle Tage vor.“ Auch ob es noch weitere Opfer gab, die nicht (mehr) in dem Haus waren, werde geprüft.

Frauen sollen Klientinnen gewesen sein

Offenbar waren die Frauen Klientinnen des Mannes, der im Internet seinen Beruf als „Persönlichkeitstrainer“ ausgibt. Obwohl er eine große Präsenz in sozialen Medien und in Onlineshops sowie eine eigene Website pflegt, finden sich keine Hinweise auf eine entsprechende Ausbildung. Bevor er mit 25 Jahren begann, „sein volles Potenzial“ zu entfalten, habe er hauptsächlich Videospiele gespielt, schreibt er an einer Stelle.

Der Verdächtige zeigt sich häufig mit meist jungen Klientinnen und Klienten, denen er geholfen habe, zum Beispiel darin, „ihre Opferrolle zu überwinden“. Auf einem rund zwei Jahre alten Foto ist er mit einer Frau zu sehen, die er als seine Ehefrau bezeichnet. In dem Haus in Walldürn jedoch habe er alleine gewohnt, so die Ermittler, teilweise habe auch sein Bruder bei ihm gewohnt. Das 2003 erbaute Haus hat einen ausgebauten Keller mit Sauna und im Garten einen kleinen Pool. Nachbarn war nichts Verdächtiges aufgefallen.

Motivationstipps und Statussymbole bei Instagram

Auffällig: Obwohl er in der Adresse in Walldürn, in der sich die Verbrechen mutmaßlich zugetragen haben, gemeldet ist, bleibt er im Netz bei seinem Wohnort vage. Teilweise will er den Eindruck erwecken, er wirke in Berlin oder in Bayern.

In seinen Videos spricht er mit leichtem Akzent, manchmal raucht er, was eine Art Shisha sein könnte. Einmal bezeichnet er sich als „sehr potenten Mann“. Ein andermal präsentiert er Statussymbole wie eine Rolex-Uhr oder einen Porsche. Lesen Sie auch:Mann gesteht Geiselnahme und Vergewaltigung

Tatverdächtiger ist in Psychiatrie

In Kommentaren wird er zum Teil auf Russisch angesprochen. Gegen den 37-Jährigen wurde Haftbefehl erlassen. Ihm wird Geiselnahme in Tateinheit mit besonders schwerer Vergewaltigung und gefährlicher Körperverletzung vorgeworfen.

Er ist mit einem Unterbringungshaftbefehl in eine psychiatrische Klinik gebracht worden. Den Grund nannten die Ermittler nicht. Mögliche Gründe sind Suizidgefahr, Drogen oder eine akute Psychose. Er könnte bei einer psychischen Krankheit vermindert schuldfähig sein.

Der Bruder des Mannes soll bei den mutmaßlichen Taten Hilfe geleistet haben. Er wurde wegen des Verdachts auf Beihilfe verhaftet und in eine Justizvollzugsanstalt gebracht.

Dieser Artikel erschien zuerst auf morgenpost.de