Berlin. Was meint jemand damit, wenn er sagt: „Endlich mal ein deutscher Name?“ Unsere Autorin vermutet Rassismus, sie hat Erfahrung damit.

Ich habe diesen alten Sessel im Schlafzimmer, roter Samt, dunkle Füße, Messingnägel, vom Stil her irgendwas zwischen Jugendstil und Landhaus. Er ist eigentlich zu wuchtig, weil wir eine dieser Familien sind, die auf praktische, leicht austauschbare Möbel setzen muss. Wie vielen in der Großstadt fehlt es an Stauraum. Unser Keller ist keine Alternative: Stelle ich dort etwas ab, tritt der feucht-muffige Verwesungsprozess sofort ein. Will ich einen kleinen Strampler meiner Tochter aufheben, überlege ich mir das gut. Im Keller geht es jedenfalls nicht.

Dieser Sessel aber ist eines der wenigen Stücke, die ich aus dem Haus meiner Mutter mitgenommen habe. Als sie starb, waren wir zunächst so überfordert, dass wir das Haus monatelang lang so ließen, wie sie es verlassen hatte. Irgendwann räumten wir es aus – wir mussten – zwei Wochen dauerte das Sichten der Dinge, die uns so vertraut waren – und verkauften das Haus schließlich. Es zog eine neue Familie ein, auch mit vier Kindern, das kleinste hatte sogar am gleichen Tag Geburtstag wie ich. Der rote Sessel meiner Mutter blieb bei mir.

Der rote Sessel meiner Mutter machte alles mit

Jahrzehntelang machte er jede Party mit, man kann sogar darin schlafen, Kaffee trinken, lesen, Hörspiele hören, und zuletzt nur die Kleider darauf ablegen, weil er altersschwach geworden ist. Der Sessel braucht eine neue Unterfederung und neue Polstergurte (so nennt man das wohl), die das gute Stück zusammenhalten. Bei einem Spaziergang kam ich just bei einem kleinen, in die Jahre gekommenen Polstergeschäft vorbei.

Ich sah durchs Schaufenster einen älteren Herren mit weißen Haaren und einem ebenso weißen Arbeitskittel. Das berührte mich, ich dachte, er soll den Auftrag bekommen – meine Mutter hatte auch viel gearbeitet und war unermüdlich darin, uns unsere Wünsche zu erfüllen. Sie war sehr nächstenlieb, also wenn ich dem Herrn helfen kann, es wäre vielleicht in ihrem Sinn.

Als ich das Geschäft betrete, klettert er gerade die Kellerleiter hoch. Es hat plötzlich etwas Gruseliges, von unten scheint das Licht hoch. Er blickt mich unfreundlich an, was ich nicht verstehe. Ich erkläre ihm mein Anliegen und er sagt, er wolle sich den Sessel erst anschauen, um mir ein Angebot machen zu können. Dann schreibt er meinen Namen auf. Als ich ihn sage: Privat trage ich den Nachnamen meines Mannes, der in etwa klingt wie Müller-Lüdenscheidt, da sagt der ältere Herr unvermittelt: „Endlich mal ein deutscher Name!“ Er freute sich richtiggehend.

Rassismus: Schon als Kind wurde ich beleidigt

Mein Mann schaute sich ein paar Stoffe im Geschäft an. Als wir draußen sind, frage ich ihn, ob das jetzt rassistisch war? Als Kind einer rumänischen Mutter mit dunklen Haaren und dunklen mandelförmigen Augen ist mein Sensorium für ausländerfeindliche Bemerkungen und Diskriminierung relativ gut ausgeprägt. Schon als Schülerin trug ich Spitznamen wie „Spaghettifresser“ oder „Ching-Chang-Chong“ und einer meiner späteren Chefs hat in Bezug auf mein dunkles Haar hinter meinem Rücken immer gern von „Fell“ gesprochen. Die Frage, „Hat Diana heute schon ihr Fell gekämmt?“ brachte ihm immer ein paar Lacher ein. Auch wenn es eigentlich Diskriminierung am Arbeitsplatz war.

Wir debattierten. Hat mich der Polsterer jetzt für den deutschen Namen gelobt? Bin ich damit für ihn sozial aufgestiegen? Oder fand er es nur gut, weil ein deutscher Name für ihn einfacher aufzuschreiben ist?

Die Rassismus-Frage sollte geklärt werden – doch so weit kommt es nicht

Irgendwann rief er an, fragte, ob er am Abend vorbeikommen dürfte. Ich nahm mir vor, ihn genau in dem Moment zu fragen, wie das mit dem deutschen Namen gemeint war, wenn er sich bückt, um unter den Sessel zu schauen.

Aber so weit kam es nicht. Er erschien einfach nicht – ohne abzusagen. Es ist wohl nicht mehr so weit her mit der deutschen Pünktlichkeit.

Lesen Sie hier weitere Morgenland-Kolumnen.

Dieser Artikel erschien zuerst auf morgenpost.de.