Washington. Bestes Drama, bester Drehbuchautor, bester Nebendarsteller: Die Mediensatire „Succession” hat mehrere wichtigste TV-Preise gewonnen.

Als die an Multipler Sklerose erkrankte Schauspielerin Selma Blair am Montagabend den letzten und prestigeträchtigsten Preis des Abends vergeben hatte, waren in der Microsoft-Arena von Los Angeles drei Stunden Eitel-Nabelschau der amerikanischen Fernsehbranche so unpolitisch und ungiftig über die Bühne gegangenen, wie man das bei den „Emmys” selten erlebt hat.

Mit fünf Auszeichnungen drückte die mit unbarmherzig satirischem Blick hinter die Interaktion zwischen solventer Kundschaft und sozial benachteiligtem Personal eines Luxushotels auf Hawaii während der Corona-Pandemie blickende Mini-Serie „The White Lotus” (HBO) der 74. Leistungsshow der weltweit wirkungsmächtigsten TV-Preise ihren Stempel auf.

Das mit 25 Nominierungen ins Rennen gegangene Finanz-Medien-Familien-Drama „Succession” (ebenfalls HBO), das schon 2020 gewonnen hatte, ging am Ende überraschend mit „nur” drei Prämierungen ins Ziel, darunter die Auszeichnung für das beste Drama und die beste Regie.

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Emmy-Verleihung: Südkoreas „Squid Game” schreibt Geschichte

Nicht unbedingt eingepreist war auch die beste schauspielerische Einzelleistung in einem Drama: Lee Jung-jae holte sich den Preis für die südkoreanische Gesellschafts-Satire „Squid Game”. Eine Premiere. Noch nie hatte ein „Auslandssprachiger” diese Top-Anerkennung bekommen.

Jung-jae verwies Schwergewichte wie Brian Cox und Jeremy Strong, die für ihre Meisterleistungen in „Succession” hoch gehandelt wurden, auf die Plätze. Die von Netflix global mit Erfolg vertriebene Kapitalismus-Kritik über eine südasiatische Spiel-Show mit vielen Toten nahm mit Hwang Dong-hyuk auch den Preis für die beste Regie mit nach Seoul.

Matthew Macfadyen nimmt den Emmy als herausragender Nebendarsteller in
Matthew Macfadyen nimmt den Emmy als herausragender Nebendarsteller in "Succession" entgegen. © Mark Terrill/Invision via AP/dpa

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Gutes von gestern auch heute noch prächtig: Nach Devise verfuhr die Auswahl-Jury mit dem herrlichen Gute-Laune Werk „Ted Lasso” (Apple TV+), das bald in die dritte Staffel geht. Dessen Erfinder, Autor und Hauptdarsteller – Jason Sudeikis – heimste wie im Vorjahr Hauptpreise im Comedy-Sektor ein. Schnauzbart Sudeikis spielt einen amerikanischen Footballtrainer, der bei einem erfundenen britischen Fußballverein (Achtung, Thomas Tuchel) vor allem mit ansteckender Herzlich- und Mitmenschlichkeit Punkte sammelt.

Jason Sudeikis heimste wie im Vorjahr Hauptpreise im Comedy-Sektor ein.
Jason Sudeikis heimste wie im Vorjahr Hauptpreise im Comedy-Sektor ein. © Frazer Harrison/Getty Images

Das Drama um die Biotech-Firma Theranos

Die von allen Corona-Restriktionen befreite Show startete mit einer kurzen Motivations-Rede der übererfolgreichen Talk-Masterin Oprah Winfrey. Danach bekam Michael Keaton für „Dopesick” den ersten „Emmy” des Abends. Die Hulu-Serie ist schwer politisch, beschreibt sie doch die von Pharma-Riesen wie Sackler und Purdue ausgelöste Drogen-Misere um den Schmerzkiller OxyContin, der Hunderttausende Amerikaner ins Elend gestürzt hat. Dazu passt:

Amanda Seyfried wurde für ihre Rolle als Elizabeth Holmes in „The Dropout” prämiert, die wahre Geschichte vom milliardenschweren Schwindel der kalifornischen Biotech-Firma Theranos. Nicht unerwähnt darf bleiben, dass Julia Garner, vielleicht d i e filmische Entdeckung der vergangenen Jahre, für Ihre bezwingende Rotzlöffel-Rolle als Ruth Langmore im Drogen-Drama „Ozarks” den „Emmy” für die beste weibliche Nebenrolle bekam.

Gewiss, manche Sketche (Stichwort: Tom Cruise-Flaschentrick an der Bar) waren so prickelnd wie eine Zahnwurzel-Massage. Allein, die 2022er „Emmys" fielen vor allem wegen durchgehender Harmlosnettigkeit auf. Was zuvorderst an Kenan Thompson lag.

Der aus der Kult-Comedy-Sendung „Saturday Night Life” bekannte afroamerikanische Comedian verzichtete als Moderator des Abends auf politisch übergriffige, giftige oder unter die Gürtellinie reichende Invektiven, die, wie man ja von den „Oscars” weiß, leicht in andererleuts Gesicht enden können, wenn ein Will es will. Thompson beschied sich mit frotzelnden Seitenhieben auf den finanziell wankenden Streaming-Multi Netflix und blieb ansonsten mit einer ganz ernsthaften und zutiefst sympathischen Danksagung an die Menschen vor den Flimmerkisten zuhaus in Erinnerung: „Ich bin sehr dankbar dafür, dass Sie mich in den vergangenen 30 Jahren in Ihr Wohnzimmer gelassen haben.”

Gesungene Dankesrede ging unter die Haut

Würdig: Die alljährliche Verbeugung vor den Toten des Jahres. Der R&B-Charmeur John Legend spielte herzerwärmend Klavier, während im Hintergrund die Bilder von Betty White, James Caan, Sidney Poitier, Ray Lotta und anderen still über die Leinwand huschten.

Beste Neu-Erfindung: Um das ewige Dankesreden-Problem zu lindern, wurde am unteren TV-Rand jeweils eine geschriebene Liste mit jenen Namen eingeblendet, bei denen sich Herr und Frau Preisträger auf jeden Fall bedanken wollten.

Mit Abstand schönste Szene des Abends: Sheryl Lee Ralph sang ihre feministisch grundierte Dankesrede (für die beste Nebenrolle in einer taufrischen Comedy-Serie namens „Abbott Elementary”) in allseits Gänsehaut erzeugender A-Capella-Manier. Die feine Geschichte schaut auf eine an fehlenden Finanzmitteln leidende Grundschule in Philadelphia und hat sich auf dem konventionell empfangbaren Sender ABC im Schatten der Streaming-Riesen zum Quotenhit entwickelt.

Sheryl Lee Ralph nimmt den Emmy als herausragende Nebendarstellerin in einer Comedy-Serie für „Abbott Elementary” entgegen.
Sheryl Lee Ralph nimmt den Emmy als herausragende Nebendarstellerin in einer Comedy-Serie für „Abbott Elementary” entgegen. © Mark Terrill/Invision via AP/dpa

Kriminell unterprämiert: Bill Hader für „Barry”. Der Mann, da waren sich viele Kritiker einig, hat im nächsten Jahr einen Ersatzpreis fürs Übergangenwerden verdient. Was gewissermaßen auch für Bob Odenkirk gilt, der sich mit „Better call Saul” mit stoischer Verkniffenheit in die Herzen von Millionen gespielt hat.

Die „Emmys” werden in fast 110 Kategorien von etwa 20.000 Mitgliedern der Television Academy vergeben. Am Festabend wurden lediglich 25 Awards ausgelobt. Ein Glück.

Dieser Artikel erschien zuerst auf morgenpost.de.