Rom. Die Gletscher in Italien schrumpfen immer mehr: Über 200 sind seit Ende des 19. Jahrhunderts verschwunden. Das bringt neue Gefahren.

Wo einst Besucher aus aller Welt auch im Hochsommer Ski fahren konnten, ist heute nur noch Felsen und Geröll zu sehen. Der auf 4215 Meter Höhe liegende Indren-Gletscher im Monte Rosa-Massiv in Norditalien ist in zwei Jahren um 64 Meter geschrumpft. Ein Verlust, der in den vergangenen 50 Jahren noch nie in diesem Ausmaß verzeichnet wurde.

"Im Gebiet des Indren-Gletschers, wo man bis vor einigen Jahren im Sommer noch hinunter brettern konnte, gibt es heute nur noch eine Steinwüste", klagt Vanda Bonardo, Alpenexpertin des italienischen Umweltschutzverbands Legambiente und Koordinatorin der Kampagne "Gletscherkarawane".

Alpen: Immer mehr Gletscher verschwinden

Prominente Glaziologen nehmen die Lage der norditalienischen Gletscher im gesamten Alpenbogen – vom Aostatal nahe der französischen Grenze bis zu dem an Österreich grenzenden Friaul – unter die Lupe. Die Bilanz ist besorgniserregend: Bei allen Gletschern wurde ein starker Flächenrückgang registriert.

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Die Alpengletscher schrumpfen immer mehr: Über 200 davon sind seit Ende des 19. Jahrhunderts bereits verschwunden, Eis hat Schutt und Felsen Platz gemacht . Als "flüssiges Aussterben der Gletscher" bezeichnen italienische Experten die Auswirkungen der globalen Erwärmung in großen Höhen.

Nach den Prognosen der Wissenschaftler könnten Gletscher bis zum Ende des Jahrhunderts ganz aus den Alpen verschwinden. In diesem Sommer lag der Temperaturnullpunkt im Alpenbogen mehrere Wochen lang auf über 5100 Metern, das sind 300 Meter über dem Gipfel des Mont Blanc, dem höchsten Berg Europas.

Gletscher: Schmelzen bringt neue Gefahren mit sich

Besonders genau beobachten Experten den Gletscher auf dem Marmolata-Massiv in den Dolomiten. Hier waren am 3. Juli elf Menschen tödlich verunglückt, nachdem sich Eis, Schnee und Geröll gelöst hatte. Experten führen den Gletscherbruch auf die Folgen des Klimawandels zurück.

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In der Gegend war es vor dem Unglück deutlich wärmer als gewöhnlich und das Schmelzwasser könnte den Abgang begünstigt haben. Der Marmolata-Gletscher in der Grenzregion von Südtirol, Trentino und Venetien hat in 100 Jahren über 90 Prozent seines Volumens und 70 Prozent seiner Fläche verloren. Demnach droht er in 15 Jahren total zu verschwinden.

Laut Glaziologen der Universität der Stadt Padua hat der Gletscher in den letzten 70 Jahren 80 Prozent seines Volumens verloren und reduzierte sich von 95 Millionen Kubikmeter im Jahr 1954 auf 14 Millionen Kubikmeter 2020.

Der Klimawandel und die damit verbundene fortschreitende Gletscherschmelze üben auf die Skigebiete einen vielfachen Druck aus. Die Schneesicherheit in den Nebensaisonen ist gefährdet. Kein Wunder, dass sich Gletscherbahn-Betreiber gemeinsam um neue, umweltfreundliche Materialien zur Isolierung von Schnee und Eis bemühen.

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Gletscherschmelzen: Geotextilien als Lösung zur Isolation

Eine Lösung, Schnee und Eis über die Sommermonate zu isolieren, sind Geotextilien, die großflächig zur Erhöhung des Reflexionsvermögens der Gletscher ausgelegt werden. Am Schnalstaler Gletscher in Südtirol werden derzeit sensible Stellen auf einer Gesamtfläche von sechs Hektar mit Folien abgedeckt.

Der mechanische Nutzen ist enorm, ist jedoch mit einer aufwendigen Logistik, vielen Arbeitsstunden und somit hohen Kosten verbunden. Die Abdeckungen sind aber für den weiteren Skibetrieb auf den Gletschern essenziell.

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Im Vorjahr veröffentlichte wissenschaftliche Forschungen sorgten für erhebliches Aufsehen. Es hatte sich herausgestellt, dass die verwendeten Geotextilien, welche aus Polypropylen bestehen, Emittenten für Mikroplastik sind. Spuren wurden nicht nur an der Oberfläche der Gletscher, sondern auch in Gebirgsbächen gefunden.

In Zusammenarbeit mit der Universität Innsbruck läuft aktuell ein erster Versuch mit neuartigen Textilien am Stubaier Gletscher. Die Kosten werden von allen Gletschergebieten gemeinsam getragen.

"Wir sind zuversichtlich, dass wir schon bald mit konkreten Ergebnissen aufwarten können. Wichtig ist, dass alle Gletscher-Skigebiete gemeinsam handeln und mit der Wissenschaft nach guten Lösungen suchen," erklärt Stefan Hütter von den Schnalstaler Gletscherbahnen.

Dieser Artikel erschien zuerst auf morgenpost.de.