Umstrittener Regisseur: Dieter Wedel stirbt mit 82 Jahren
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Von Thomas Andre
Hamburg. Der bekannte deutsche Regisseur Dieter Wedel ist tot. Er starb im Alter von 82 Jahren. Zu einem Verfahren kommt es nun nicht mehr.
Welche Schatten zuletzt auf dem Ruhm von Dieter Wedel lagen, einem der größten Filmemacher Deutschlands, wurde gestern noch einmal überdeutlich. Eigentlich wollte die Staatsanwaltschaft exakt am Mittwoch über die Zulassung einer Anklage gegen den 82-Jährigen entschieden. Eine frühere Schauspielerin hatte dem Regisseur eine Vergewaltigung vorgeworfen. Stattdessen blieb dem Gericht nur noch, die Todesnachricht zu verkünden.
Wedel, ausgezeichnet mit dem Adolf-Grimme-Preis und Bundesverdienstkreuz, starb schon am 13. Juli in seiner Wahlheimat Hamburg in einer Klinik – „nach langer, schwerer Krankheit“, wie seine Kanzlei verlauten ließ.
Dass Wedel, der erste deutsche Fall der #MeToo-Bewegung, die Vorwürfe stets von sich wies, konnte seinen seit 2018 ruinierten Ruf nicht wiederherstellen. Als die Vorwürfe gegen ihn bekannt wurden, sah er sich als Opfer einer Verleumdungskampagne.
Dieter Wedel: Seine Filme und Serien
Der Regisseur, der beruflich zuletzt als Leiter der Bad Hersfelder Festspiele in Erscheinung trat, darf in vielerlei Hinsicht als Repräsentant einer überkommenen, selbstherrlichen und von männlicher Dominanz geprägten Welt gelten. Sein Fernsehschaffen jedoch war maßgebend.
In einer Zeit, in der „Miniserien“ noch „TV-Mehrteiler“ hießen und das Fernsehen „linear“ war, fesselte Wedel die Nation mit sogenannten Straßenfegern.
Wedel dachte groß, sein Selbstbewusstsein formte mit den erfolgreichen Serien „Der große Bellheim“ (1992), „Der Schattenmann“ (1996) und „Der König von St. Pauli“ (1998) das Programm der Primetime. Und das mit Etats, von denen heute nur noch geträumt werden darf.
Karrierebeginn beim Radio Bremen
Wedel wurde 1939 in Frankfurt am Main geboren, der Vater war Ingenieur. Nach einer kurzen Zeit bei Radio Bremen ging er 1967 zum NDR nach Hamburg. Wedels erster Kurzfilm „Willi“ aus dem Jahr 1969 war eine Adaption von Wolfdietrich Schnurres Kurzgeschichte „Reusenheben“.
Der Volksaufstand vom 17. Juni 1953 war dann Thema von Wedels erstem großem Fernsehfilm „Gedenktag“. Seit 1978 arbeitete er als Regisseur und Produzent selbstständig und drehte regelmäßig gesellschaftskritische TV-Filme. In der ersten Hälfte der 1980er-Jahre arbeitete er unter Intendant Peter Striebeck am Thalia-Theater, inszenierte unter anderem „Macbeth“.
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Vorwürfe: Narzissmus und Wutanfälle am Set
Wedel war, wie spätestens im Zuge der Missbrauchsvorwürfe gegen ihn öffentlich bekannt wurde, am Set kein einfacher Zeitgenosse. Narzissmus, ein rüder Umgangston, Wutanfälle – im Kreativ- und Machermenschen Wedel brodelte es stets.
Wobei die Sache mit der Kreativität speziell ist. Will man es freundlich ausdrücken, könnte man sagen, dass Wedel dem deutschen Fernsehen seine Provinzialität austreiben wollte, indem er sich großzügig bei den Vorlagen in Hollywood bediente.
Manche Dialoge und Szenen waren von Woody Allen und Francis Ford Coppola übernommen. In einem Plagiatsprozess gestand Wedel, Ideen anderer übernommen zu haben, fand die Aufregung darüber jedoch übertrieben.
Alexander Schuller: "Besprechungen liefen stets nach einem Muster"
Über die Arbeitsprozesse Wedels kann der Hamburger Autor Alexander Schuller, der an den Drehbüchern von zwei Folgen für den „König von St. Pauli“ mitschrieb, manches sagen. „Besprechungen liefen stets nach einem Muster ab“, erinnert sich Schuller.
„Dieter Wedel, den ich privat immer nur Seidenhemden tragen sah, thronte so ein bisschen in seinem gediegenen, fast schon plüschig eingerichteten Wohnzimmer in einem Sessel.
Seine Frau Uschi Wolters servierte geschwind Kaffee, kaum dass man Platz genommen hatte. Und er begann sogleich nach dem ersten Schluck inhaltlich ins jeweilige Thema einzusteigen. Dabei kraulte er unentwegt seinen goldbraunen Pudel, den er auf dem Schoß hatte.“
Wedels Idee hinter dem „König von St. Pauli“ sei eine Art „hanseatischer Western“ gewesen – die epische Geschichte eines Duells zweier St.-Pauli-Größen um den Nachtclub „Blaue Banane“.
„Das betonte Wedel immer wieder, während er vor seinem Autor – in diesem Fall vor mir – die Bögen der Handlungsstränge der jeweiligen Episode spannte und etwaige inhaltliche Ungereimtheiten ebenso lässig wie meisterhaft wegfabulierte“, erzählt Schuller.
Besessen von der Arbeit
Er habe Wedel als Besessenen kennengelernt – heute würde man „Nerd“ oder „Maniac“ sagen –, dem es mühelos, nicht zuletzt aber auch „mit Charme und Witz gelang, bei seinen Zuhörenden sämtliche Zweifel zu zerstreuen und neue Ideen zu entwickeln“, sagt Schuller.
Seine Arbeitswut sah Wedel selbst so: „Ich habe das Glück, an meinem Beruf Spaß zu haben. Ich kann mich selbst verwirklichen. Ich lese immer, ich sei ein Workaholic. Das stimmt aber nicht. Wenn es Spaß macht, ist es ja keine Arbeit.“
Dieter Wedel: Sechs Kinder und mehrere Frauen
Die Zielgerichtetheit im Beruf kontrastierte das Unstete im Privaten. Sechs Kinder von verschiedenen Frauen hatte Wedel, darunter einen Sohn mit Schauspielerin Hannelore Elsner. Anfang der 80er-Jahre waren die beiden ein Paar.
Er lebte zeitweise mit zwei Frauen gleichzeitig zusammen. Die „Süddeutsche Zeitung“ nannte ihn mal einen „polyamoren Lebensfreund“, Wedel sich selbst, da aber auf die Arbeit bezogen, eine „zickige Diva“.
Mit dem, was er beruflich erreichte, und den Verletzungen, die er dabei anderen zufügte, gäbe das Leben Dieter Wedels wahrscheinlich selbst einen auf seine Weise guten Erzählstoff ab. Kein Gericht wird nun die Vorwürfe mehr klären können. Es ist eine Geschichte, die mit einem großen Fragezeichen endet.