Frankfurt/Berlin . Sie klettern ungesichert an Hochhäusern, filmen sich dabei und kassieren Klicks: Rooftopper. Die Aktionen landen regemäßig vor Gericht.

Schockierte Blicke auf ein Frankfurter Büroturm im Mai 2022. Sensationshungrig werden Kameras gezückt. In 144 Metern Höhe klammert sich ein Mann ungesichert an dem gläsernen Koloss des Frankfurter Büro Centers (FBC). Aus der Entfernung erscheint der Kletterer nicht viel größer als ein Punkt. Er bewegt sich nur langsam voran, immer in der Gefahr hinunter in den sicheren Tod zu stürzen.

Der Mann trägt einen Anzug in den Farben Blau und Gelb – ein Protest gegen den Ukraine-Krieg. Der 33-jährige Pole ist nicht der Erste, der mit seiner waghalsigen Aktion die Frankfurter Hochhausriesen als Projektionsfläche nutzt.

Über die letzten Jahre ist in Frankfurt am Main eine Szene entstanden, für die es der letzte Kick ist, die höchsten Dächer Deutschlands zu erklimmen. So spektakulär die lebensmüden Aktionen auch scheinen - sie beschäftigen immer wieder die Justiz.

Hausfriedensbruch: Bis zu einem Jahr Gefängnis

Die Kletteraktionen sind ein Phänomen in Großstädten wie Berlin, Köln oder Hamburg. Besonders häufig kommen sie in Frankfurt vor. Warum gerade hier, erklärt Isabell Neumann von der Polizei Frankfurt: "Das liegt an den vielen Tatgelegenheiten in Frankfurt."

Einen Überblick über die Vorfälle habe die Polizei hingegen nicht: "Eine Auswertung ist schwierig, da die Fälle in der Statistik nicht explizit ausgewiesen, sondern mit den normalen Hausfriedensbrüchen erfasst werden."

Solche Form des Hausfriedensbruchs werde mit einer Geldstrafe oder einer Freiheitsstrafe von bis zu einem Jahr bestraft, sagt dazu die Frankfurter Oberamtsanwältin Heike Stahnke.

Die beiden Extremkletterer Leo Urban (r.) und Alain Robert kletterten im November 2021 ohne jede Sicherung an der Fassade des Skyper-Hochhauses in Frankfurt am Main hinauf. Solche Protest-Aktionen gelten als Hausfriedensbruch (Archivfoto).
Die beiden Extremkletterer Leo Urban (r.) und Alain Robert kletterten im November 2021 ohne jede Sicherung an der Fassade des Skyper-Hochhauses in Frankfurt am Main hinauf. Solche Protest-Aktionen gelten als Hausfriedensbruch (Archivfoto). © dpa | Boris Roessler

Rooftopping: Ungesicherte Stunts für Millionen Klicks

Sogenannte Roofer klettern ungesichert auf Hochhäuser, um dort zu balancieren, Stunts zu machen und sich dabei zu filmen. Mit Selfies und Videos präsentieren sie sich einer in den letzten Jahren weltweit stark gewachsenen Roofer-Community auf Facebook, Instagram oder Youtube.

Die Videos haben Millionen Klicks, die digitale Fan-Gemeinde jubelt, nachdenkliche Kommentare sind selten.

Die Mitglieder der Roofer-Gruppe "Grave Yard Kidz" etwa erklimmen nicht nur Hochhäuser Frankfurts, sondern stürmen 2016 den höchsten Kirchturm der Welt – den Ulmer Münster. Während die "Friedhofskinder" damals unentdeckt bliebeb, sind zwei Belgier im Alter von 20 und 22 Jahren nun vorbestraft. Sie 2021 verursachten beim Klettern auf dem Ulmer Münster einen Sachschaden von 6000 Euro. Die beiden erwartet eine hohe Geldstrafe – zur Abschreckung anderer Roofer.

Tot: Chinesischer Roofer-Star fällt 62 Stockwerke

Wie gefährlich die Klettereien sind, zeigt der Fall des Chinesen Wu Yongning, der auf insgesamt 300 Wolkenkratzer kletterte. Bekannt für seine Stunts, verlor der Roofer-Star 2017 bei Klimmzügen in schwindelerregender Höhe den Halt. Er stürzte in Changsha 62 Stockwerke tief in den Tod.

Ob es auch in Frankfurt Tote durch den Sturz aus einem Hochhaus gegeben hat, kann Polizeisprecherin Neumann nicht sagen: "Eine Statistik über von Hochhausdächern aus zu Tode gekommenen Personen gibt es nicht."

Die beiden Extremkletterer Leo Urban und Alain Robertan an der Fassade des Skyper-Hochhauses in Frankfurt am Main. Nicht nur für Protest-Aktionen werden Frankfurts Wolkenkratzer missbraucht. Die Rooftopper-Szene bricht immer wieder in Hochhäuser ein, um waghalsige Selfies auf den Dächern zu machen (Archivfoto).
Die beiden Extremkletterer Leo Urban und Alain Robertan an der Fassade des Skyper-Hochhauses in Frankfurt am Main. Nicht nur für Protest-Aktionen werden Frankfurts Wolkenkratzer missbraucht. Die Rooftopper-Szene bricht immer wieder in Hochhäuser ein, um waghalsige Selfies auf den Dächern zu machen (Archivfoto). © dpa

Einbruch in 59 Fällen: 20 Hochhäuser in Frankfurt betroffen

Verschlossene Türen und Überwachungskameras scheinen für die Roofer jedenfalls kein Hindernis zu sein. In den Jahren 2017 und 2018 brachen ein damals 17- und ein 19-Jähriger in über 20 Hochhäuser Frankfurts teilweise mehrfach ein, darunter in Deutschlands größte Wolkenkratzer wie den Messeturm oder den Westend Tower.

Die Anklageschrift der Staatsanwaltschaft Frankfurt offenbart: Insgesamt 59-mal drangen die beiden Roofer einzeln, zu zweit oder in Gruppen in Frankfurter Hochhäuser ein. "Die beiden Angeschuldigten wurden damals auf frischer Tat im Treppenhaus zum Dach eines Gebäudes ertappt," sagt Oberstaatsanwältin Nadja Niesen.

Nach der Festnahme werden die Wohnungen der Roofer durchsucht: Selbst geknipste Fotos auf den Hochhäusern verraten sie. Die beiden gestehen und beteuern, der Roofer-Szene abzuschwören. 2019 kommt es zum Urteil: Trotz der Vielzahl ihrer Straftaten kommen sie mit einer Geldstrafe von jeweils 250 Euro davon.

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Keine Auskunft: Hochhaus-Verwaltungen halten sich bedeckt

Die Hochhaus-Verwaltungen in Frankfurt halten sich zu der Thematik auf Anfrage bedeckt. Aus dem rund 260 Meter hohen Messeturm etwa heißt es dazu: "Es ist ein sehr sensibles Thema, wir wollen keine Informationen teilen."

In Frankfurt am Main gibt es viele
In Frankfurt am Main gibt es viele "Tatgelegenheiten", bei denen Hochhaus-Kletterer zuschlagen könnten (Archivfoto). © dpa

Ähnlich die Angaben kommen aus dem Westend-Tower, Sitz der DZ-Bank: "Aus Gründen der Sicherheit können wir nicht mehr dazu sagen." Vom Commerzbank-Hochhaus heißt es: "So etwas hat es bei uns noch nicht gegeben."

Entgegen dieser Aussage drangen die beiden 2019 verurteilten Roofer im April und Mai 2018 allein dreimal in das höchste Gebäude der EU ein.

Ukraine-Protest: Mann übt ungehindert an Fassade

Der nächste Fall wartet nun auf die Justiz: Der 33-jährige Pole wurde noch auf dem Dach des FBC-Hochhauses festgenommen. Die Ergebnisse der ersten Ermittlungen: Der Mann klettert schon vorher mehrmals ungehindert am Gebäude. Gegen ihn ist nun ein Strafverfahren eröffnet worden.