Washington/Fairfax. Johnny Depp hat gegen seine Ex-Frau Amber Heard vor Gericht gewonnen. Doch die Akte ist noch nicht geschlossen – geht sie in Berufung?

Lisa Bloom kennt sich aus vor Gericht mit scheinbar glasklaren Fällen von häuslicher und sexueller Gewalt. Die prominente Anwältin verteidigte einst Ex-Hollywood-Mogul Harvey Weinstein, später Opfer des Sex-Ring-Ausbeuters Jeffrey Epstein wie auch Frauen, die sich der Alt-Entertainer Bill Cosby gefügig gemacht hatte.

Nach dem scheinbaren Sieg von Schauspiel-Star Johnny Depp gegen sein Ex-Frau Amber Heard warnt die Juristin vor schnellen Schlüssen. "Das ist nicht das Ende", sagte Bloom in US-Medien, "die meisten Verleumdungsfälle werden erst in der Berufung entschieden."

Klage von Johnny Depp: Amber Heard peilt wohl Berufung an

Genau die peilt die 36-jährige Heard an, nachdem eine Geschworenen-Jury in Fairfax/Virginia ihr im Zivilverfahren gegen Depp bis auf eine Ausnahme den Status einer Breitband-Lügnerin bescheinigte, die aus "tatsächlicher Böswilligkeit" Missbrauchsvorwürfe gegen ihren ehemaligen Gatten in die Welt gesetzt habe.

Käme es zum zweiten Aufguss des Prozesses, der sieben Wochen lang durch seinen täglich live gestreamten Inhalt ein weltweites Publikum teilweise zu digitalen Hobby-Scharfrichtern deformierte und Heard Hunderte Morddrohungen eintrug, stünden die Chancen für die Mimin nicht schlecht, sagen neben Bloom auch andere Juristen.

Depp vs. Heard: Könnte das Urteil revidiert werden?

Sie halten den Jury-Spruch, der sich im Prinzip die Ich-war's-nicht-Behauptung Depps zu eigen machte, für "nicht schlüssig" und rechnen in "ein, zwei Jahren" mit einer "klareren" Antwort.

Ein Beispiel: Wie könne es sein, fragt Lisa Bloom, dass Johnny Depp laut Jury "verleumdet" wurde, wenn Heard sich, ohne ihn namentlich in einem inkriminierten Artikel in der Washington Post zu erwähnen, als Opfer häuslicher Gewalt bezeichnet?

Die Frage, ob eine juristische Nachspielzeit das vorläufige Ergebnis des beinharten Beziehungs-Endspiels auf den Kopf stellen könnte, wird auf Monate Zeitungsspalten füllen.

Schauspielerin Amber Heard muss sich gegen Ex-Mann Johnny Depp geschlagen geben. Nur vorerst?
Schauspielerin Amber Heard muss sich gegen Ex-Mann Johnny Depp geschlagen geben. Nur vorerst? © dpa

Depp bedankte sich dramatisch für Urteil und Fan-Unterstützung

Johnny Depp unterdessen schaut demonstrativ nach vorn. Aus dem britischen Newcastle, wo er gemeinsam mit Jeff Beck ein Rock-Konzert gab und daher der Urteilsverkündigung fernblieb, kabelte der 58-Jährige Danksagungen an Fans und Geschworene über den Atlantik.

Auf Lateinisch verbreitete er den Sinnspruch "Veritas numquam perit" – die Wahrheit geht nie zugrunde. Und sprach davon, dass ihm nach sechs Jahren unter dem Joch "falscher Anschuldigungen" das Leben "zurückgegeben" worden sei. Seine Prophezeiung: "Das Beste kommt erst noch."

Johnny Depps Ruf ist nicht vollständig wiederhergestellt

Sollten damit tragende Rollen in Hollywood-Filmen gemeint sein, schütten Film-Insider bereits tüchtig Wasser in den Wein. Zu toxisch sei Depp, nachdem im quälend fremdschämerischen Prozess neben verbalen Hardcore-Entgleisungen x-fach freigelegt wurde, dass ihm unter Alkohol- und Drogeneinfluss (also häufig) regelmäßig die Gäule durchgehen. "Depps Image ist im Keller", sagt ein Hollywood-Agent, "wenn er glaubt, sein Name sei wieder sauber, dann irrt er."

Dass die Volksklick-Abstimmung im Netz brutal den Daumen über Heard senkte und Depp eine #MeToo-Opfer-Rolle zugestanden bekam, hat nach Ansicht von Prozess-Insidern bei den sieben Geschworenen "Eindruck hinterlassen". So sei zu erklären, dass der "Fluch der Karibik"-Star eine Entschädigung von 10,35 Millionen Dollar zugesprochen bekam. Während Heard, ausgelöst durch die üble Nachrede eines Depp-Anwalts, mit einem Trostpflaster von zwei Million Dollar abgefunden wurde; zu zahlen von Depp.

Depp vs. Heard: Was bedeutet das Urteil für #MeToo-Bewegung?

Während im Bezirksgericht von Fairfax gestern wieder der unglamouröse Alltag einzog, gewinnt eine Debatte an Fahrt, deren Ausgang offen ist: Wird der Fall Depp/Heard die #MeToo-Bewegung, die Gewalt gegen Frauen thematisiert, schwächen? Werden andere Männer Depp nacheifern und ihrerseits Frauen nachträglich belangen? Ist der Volksgerichtsof im Internet, den dieser Prozess in bisher unbekannter Abscheulichkeit begleitete, nun Ausdruck von transparenter Rechtsstaatlichkeit - oder ein weiteres Symptom für den Sittenverfall in den dauererregten Vereinigten Staaten?

Monica Hesse, Kolumnistin der "Washington Post", spricht für manche Beobachter, wenn sie sagt, sie fühle sich "abgrundtief schmutzig", die Schlammschlacht von A bis Z verfolgt zu haben. Die Trennlinie zwischen "Glotzen" und "Zeugnis ablegen" sei nicht mehr klar erkennbar gewesen.

Monica Lewinsky, die einiges von öffentlichem Gedemütigtwerden versteht, seit sie als Praktikantin an einen triebhaften Ex-Präsidenten geriet, spricht von "Gerichtsaal-Porno". Millionen seien den voyeuristischen Trigger-Reizen des Spektakels erlegen gewesen - sie selbst eingeschlossen. Ihr Fazit: "Wir sind alle schuldig."

Dieser Artikel ist zuerst auf morgenpost.de erschienen