Berlin. Er war Schauspieler und Autor, aber auch Zeuge und Mahner: Nur zwei Monate nach seinem 90. Geburtstag ist Michael Degen gestorben.

Schauspielen kann auch ein Fluch sein. Denn die Rolle, für die Michael Degen am meisten geliebt wurde, war eine, die er gar nicht leiden konnte: die des Vize-Questore Patta in den Donna Leon-Filmen um Commissario Brunetti. Jenem eitlen Fatzke, der zwar immer wie aus dem Ei gepellt auftrat, den aber niemand ernst nahm. Auch Degen nicht. Der spielte ihn, um die Distanz zu betonen, grob chargierend.

Dennoch hat er diese Figur 20 Jahre lang verkörpert, bis die ARD-Reihe 2019 eingestellt wurde. Die letzte Folge war auch seine allerletzte Dreharbeit. Nun ist der Schauspieler und Autor, wie der Rowohlt-Verlag am Dienstag in Berlin mitteilte, am Sonnabend in Hamburg gestorben. Nur sieben Wochen nach seinem 90. Geburtstag.

Michael Degen: Mit der Mutter hat er sich zwei Jahre vor den Nazis versteckt

Schauspielen kann ein Fluch sein. Denn auch sonst war Michael Degen immer auf den galanten Gentleman festgelegt. Eine Paraderolle, aber auch eine Schublade, die ihn einengte. Die er aber gleichwohl bediente. Er spielte in Schnulzen von Rosamunde Pilcher, ging mehrfach an Bord des „Traumschiffs“, machtes Leichtes und Seichtes.

„Ich hatte vier Kinder zu ernähren“, kommentierte er das gern, „da habe ich auch mal Schrott gedreht.“ Dabei war Degen auch ein Charaktermime, spielte viele klassische Rollen, allein 300 Mal den „Hamlet“. Das Theater war die andere Seite seiner Arbeit, die ihm stets wichtiger, die aber eben nicht so populär war. Damit musste sich Michael Degen arrangieren.

Schauspielen kann aber auch ein Segen sein. Denn in Rollen und Texte hat er sich geflüchtet, als er als junges Kind auf der Flucht vor den Nazis war. Sie wurden ihm Trost und Anker. Und es war diese Literatur, diese Kultur der Dichter und Denker, weshalb er, nachdem er schon nach Israel ausgewandert war, wieder nach Deutschland zurückkehrte. Immer wieder sollte Degen auch Rollen und Filme auswählen, mit denen der Holocaust und die Traumata seiner Kindheit aufgearbeitet wurden. Dafür ist er dann sogar noch einmal in eine ganz andere Rolle geschlüpft: in die des Buchautors, als er 1999, über ein halbes Jahrhundert später, ein Buch über seine Kindheit als Jude im Nazi-Reich schrieb, von der viele nichts wussten. Und die viele überraschte

Darin schilderte Degen, der 1932, nur ein Jahr vor der Machtergreifung der Nazis, geboren wurde, wie seine Mutter 1943 mit ihm, er war gerade elf, in Berlin untertauchte, wie sie sich zwei Jahre in Gartenlauben und Kellern versteckten, immer in der Angst, entdeckt, verraten und deportiert zu werden. Er schilderte aber auch, wie sie in ihrer Not immer auch Hilfe und Nächstenliebe erfuhren. Weshalb er dem Buch den programmatischen Titel „Nicht alle waren Mörder“ gab. Diesen Satz führte er auch immer als Grund an, wenn man ihn, manchmal verständnislos, fragte, wieso er in das Land der Mörder zurückgekehrt sei.

Schauspielausbildung am Deutschen Theater

Sein Vater, Jacob Degen, wurde im KZ gefoltert und starb 1940 an den Folgen. Sein älterer Bruder Adolf wurde noch rechtzeitig nach Palästina geschickt, wohin Michael ihm 1949 auf Wunsch seiner Mutter folgte. Und wo er während des Unabhängigkeitskrieges auch bei den israelischen Streitkräften diente. Doch nach zwei Jahren kehrte er zurück. Zurück zur Mutter, aber auch zur Muttersprache. Und trug so zum kulturellen und zum geistig-moralischen Wiederaufbau des Landes bei.

Eine Schauspielausbildung hatte er bereits 1946 am Deutschen Theater gemacht, auch in Israel hatte er schon Theater gespielt. Nach seiner Rückkehr holte Bertolt Brecht ihn 1954 ans Berliner Ensemble, dem folgten zahllose Engagements an allen bedeutenden Bühnen, unter renommierten Regisseuren. Früh schon sicherte Degen sich aber auch ein zweites Standbein im noch jungen Medium Fernsehen, wo er ab 1964 präsent war. Mit einer gewissen Herablassung, die damals vielen Theatermimen eigen war, bediente man auch dieses Fach. Weil es gutes Geld brachte. Und man hier an einem Abend von mehr Menschen gesehen wurde als in tausenden Theatervorstellungen. Hier war Degen bei der Rollenwahl freilich nicht immer so anspruchsvoll wie auf der Bühne.

Aber immer war es ihm ein Anliegen, die Vergangenheit aufzuarbeiten, hier wie da. Im Theater etwa in Peter Zadeks legendärem KZ-Musical „Ghetto“ in der Freien Volksbühne Berlin, in George Taboris schmerzlichen „Kannibalen“ in Wien oder in Thomas Bernhards Skandalstück „Heldenplatz“. Im Fernsehen in Mehrteilern wie „Die Geschwister Oppermann“ (1983) nach Feuchtwanger oder „Geheime Reichssache“ (1988), wo er Adolf Hitler spielte. Und im Kino in Holocaust-Dramen wie „Babij Jar“ (2001) oder „Das letzte Mahl“ (2017).

Immer wieder meldete er sich auch couragiert und allen Anfeindungen zum Trotz zu Wort gegen die ewig Gestrigen, gegen alte und neue Rechte, auch wenn er dafür sogar Morddrohungen erhielt. Ein Zeitzeuge, der sich als Mahner, aber auch als Versöhner verstand. Und der mit seinem ersten Buch schließlich auch seine ganze private Geschichte öffentlich machte, die 2006 ebenfalls verfilmt wurde, mit Nadja Uhl als Mutter und Aaron Altaras als jungem Alter Ego.

Ein Donna-Leon-Film pro Jahr

Der Buchautor, das war seine späte zweite Karriere, die noch ein anderes Sprachtalent in ihm offenbarte. Degen, ein Mann mit vielen Talenten. Er schrieb Romane wie „Blondi“, der die Nazigräuel aus Sicht von Hitlers Schäferhund erzählte, aber auch „Familienbande“ über das schwierige Verhältnis von Thomas Mann zu seinem jüngsten Sohn Michael. Bei all diesen Projekten ließ sich auch ein Donna-Leon-Film pro Jahr einbauen. Die Popularität konnte man dann wieder für die wichtigen Themen nutzen.

Michael Degen konnte auf eine 70-jährige Karriere zurückblicken. Und er hätte sich längst und verdient zurücklehnen können. Aber aufhören, das war nichts für ihn. Dazu liebte er das Spielen zu sehr. Mit Schmerz musste er aber auch miterleben, wie überall im Lande der Antisemitismus wieder Auftrieb erlangte. Auch in dieser Hinsicht durfte er nicht aufhören. Als Zeitzeuge, Mahner und Stimme der Erinnerung. Diese Stimme wird fehlen.